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Kleine Buchverlage ambitioniert

Sabine Peschel22. März 2016

Die Buchbranche erlebt gerade eine ungeahnte Verlags-Gründungswelle. Mit Leidenschaft und Kampfeswillen versuchen neue Verleger ihre Existenz zu sichern. Dabei entstehen in manchen Kleinverlagen bemerkenswerte Bücher.

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Symbolbild Literatur Lieblingsbuch
Bild: ullstein bild - Wodicka

Der größte Teil der deutschsprachigen Neuveröffentlichungen erscheint nicht etwa in den großen Publikumsverlagen, sondern in Kleinverlagen. Fachbücher, brillante Fotobände, erzählende Literatur, Gedichtbände, Bücher für sogenannte Randgruppen – die kulturelle Vielfalt in Deutschland wäre ohne die Kreativität der vielen kleineren unabhängigen Verlage nicht denkbar.

Die vom Umsatz her stagnierende Buchbranche erlebt in den letzten fünf Jahren eine erstaunliche Gründungswelle - allein in Berlin gibt es inzwischen über 300 Buchverlage. Die meisten von ihnen haben weniger als zehn Mitarbeiter. Wie kommen sie über die Runden? Warum wagt sich ein neuer Verleger auf das umkämpfte Parkett? Beispiele:

Edition Thanhäuser: Der Verleger als Ästhet und Buchliebhaber

Stress durch die in der Branche notorische Selbstausbeutung ist dem Österreicher Christian Thanhäuser nicht anzumerken. Sein Metier ist die Kunst, seine Holzschnitte werden in China und in der Schweiz gesammelt. Seine Werkstatt in Ottensheim an der Donau ist "wahrscheinlich die einzige Druckerei, die noch alles notwendige Material für den Gutenbergischen Handsatz hat, wie es Gutenberg erfunden hat für den Handpressendruck - ich kann noch Bücher machen ohne Strom", erzählt Thanhäuser.

Verleger ist er schon seit 25 Jahren. Stolz ist Thanhäuser auf die in aufwendiger Handarbeit hergestellten zweisprachigen Lyrikbände, die neuesten von zwei chinesischen Dichtern, Wan Xia und Wang Jiaxin. Sie sind mit seinen eigenen Holzschnitten illustriert. "300 bis 400 Exemplare, mehr kann man nicht verkaufen. Es gibt viele Sammler, die meine Holzschnitte kaufen, und die kaufen somit die Literatur dazu. So bringe ich die Gedichte auch zu den Lesern", so Thanhäuser im Gespräch mit der DW. Kaufmännische Interessen sind bei diesem Verleger nicht erkennbar, im Gegenteil. "Wenn man Geld verdienen will, dann sollte man was anderes machen." Thanhäuser muss immer wieder Geld dazu verdienen, um Bücher machen zu können. "Im Schnitt zahle ich vielleicht bei jedem Buch 1000 Euro dazu. Aber der schönste Gewinn sind immer die persönlichen Begegnungen."

Der Verleger Christian Thanhäuser. Foto: Copyright: DW/S. Peschel
Der Verleger Verleger Christian ThanhäuserBild: DW/S. Peschel

Verlagsverband Format: Gut aufgestellt durch neue Techniken

Aber muss ein kleiner, unabhängiger Verlag gleichzeitig immer ein Nischenverlag sein? Heinz-Herbert Reimer von Format vertritt das Gegenmodell. Er ist Verlagsgruppenleiter eines Verbunds von vier kleinen Verlagen mit insgesamt acht Festangestellten aus Jena. Ihr Marktvorteil ist die eigene Herstellung. "Wir arbeiten mit dieser Buchherstellung auch für andere Verlage. Für große, aber auch für ganz kleine." Neue Drucktechniken ermöglichen es kleinen Verlagen, am Markt bestehen zu können, so seine Erfahrung. "Auflagen ab 5000 Stück sind kein Muss mehr. Das war früher ein K.o.-Kriterium für sehr viele Titel. Mittlerweile gibt es zahlreiche Verlage, die mit relativ kleinen Auflagen spezielle Bedürfnisse befriedigen können." Auch die Digitalisierung bringe für den weltweiten Markt Vorteile mit sich, die das gedruckte Buch nicht habe. "Man muss die neuen Chancen sehen. Wir sehen auch das Ebook eher als nützliche Ergänzung."

Open House: Idealistische Selbstausbeutung mit ehrgeiziger Perspektive

Raus aus der Nische möchte auch der junge Verlag Open House. Doch noch arbeitet das unabhängige Unternehmen nicht gewinnbringend. "Wichtig wäre, zehn Bücher im Jahr zu machen, das ist unserer Meinung nach das, womit man über die Runden kommen würde", erklärt Christiane Lang, eine der beiden Gesellschafter des Verlags. "Wir sind im Moment bei vier. Wir schaffen es mit Nebenjobs. Es ist nicht nur so, dass wir lektorieren, aussuchen und uns um die Autoren kümmern, sondern dass wir nebenbei auch noch ein ganz normales Alltagsleben haben. Und dazu gehört auch ein Job. Ich zum Beispiel arbeite als Fahrradmechniker."

Bücherstapel Foto: Jens Kalaene/dpa
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Die Motivation, angesichts dieser Situation einen Verlag zu gründen, war für Lang logisch: "Das passiert, wenn man selber viel mit Büchern zu tun hat und viel liest, und einfach auch mal mitbestimmen möchte, welches Buch denn ein Recht hat, ein Buch zu werden."

Dass es um mehr als idealistische Selbstausbeutung geht, beweisen die ehrgeizigen Zukunftspläne der Macher. "Wir wollen das volle Programm - Sachbücher, Erzählungen, Romane, Geschichten, spezialisiert auf junge deutsche Literatur. Autoren, die wir entdecken, die noch nicht durch andere entdeckt worden sind, wie zum Beispiel Babet Mader, von der wir schon den dritten Titel verlegen. Perspektivisch gehen wir auch weiter Richtung norwegische Literatur, wo wir mit zwei jungen Autoren echte Perlen gefunden haben."

Anaconda: Low Budget-Profis

Open House macht aufwändig und grafisch anspruchsvoll gestaltete Bücher, die keine kleinen Auflagen rechtfertigen. In Leinen, manchmal sogar Leder bindet der Anaconda Verlag viele seiner Titel zwar auch ein. Mit Blick auf kaufmännische Gesichtspunkte vertritt der Kölner Kleinverlag aber ein pragmatisches Gegenprogramm. "Wir machen Bücher in einer hochwertigen Ausstattung zu einem sehr günstigen Preis", fasst Jean-Merri Röger, verantwortlich für Marketing und Presse, zusammen. "Wir wollen Menschen ansprechen, die das Geld vielleicht nicht so locker sitzen haben wie andere."

Jean-Merri Röger Anaconda Verlag. Copyright: Judith Eiden
Jean-Merri Röger vom Anaconda VerlagBild: Judith Eiden

Das Verlagsprogramm umfasst Klassiker wie Goethe, Schiller und Fontane, aber auch Philosophieklassiker, Sachbücher und Ratgeber als Sonderausgaben. Aber wie lassen sich Buchpreise zwischen vier und (für mehrbändige Ausgaben) 20 Euro erreichen? "Wir schaffen das hauptsächlich durch die Bündelung bei den Druckaufträgen. Wir versuchen, die Formate anzugleichen, so dass wir viele Bücher auf einmal bestellen können und dadurch sparen wir auch sehr viel Papier", so Röger. "Zum zweiten: Wir sind ein sehr kleiner Verlag mit nur fünf Angestellten. Wir versuchen, die Bürokratie so gering zu halten, wie es eben geht." Dass ein Drittel der Verlagstitel rechtefrei sei und Lizenzausgaben ein weiteres Drittel ausmachen, hielte die Kosten ebenfalls niedrig und mache 40-50 Neuerscheinungen pro Saison möglich.

Förderung für unabhängige Verlage

Die Perspektiven seien gerade für kleine Verlage im Moment nicht schlecht, findet Marketing- und Pressechef Röger. "Wir sind mit der Entwicklung im Buchmarkt zufrieden. In den letzten Jahren haben sich sehr viele kleinere Buchhändler wieder etabliert. Das wirkt sich dann auch positiv auf unser Geschäft aus, wir profitieren davon."

Symbolbild Lesen
Auch kleine Verlage können Lieblingsbuch-Potential habenBild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Dass das so bleibt, dafür sorgt auch die Förderung für unabhängige Verlage durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien - und durch die Kurt Wolff Stiftung, die seit 15 Jahren die unabhängige Verlags- und Literaturszene unterstützt.