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DIW-Studie zur Einkommensentwicklung

20. Juli 2011

Wer wenig verdient, der bekommt jetzt noch weniger als vor zehn Jahren. Einer Studie des DIW zufolge sanken die Nettolöhne von Geringerdienern in Deutschland seit 2000 deutlich. Doch es gibt Zweifel an der Faktenlage.

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Hausmeister an der Universität München (Foto: dpa)
Er hält alles in Schwung, aber sein Lohn sinkt: Hausmeister arbeiten oft für kleines GeldBild: picture-alliance / Sueddeutsche Zeitung Photo
Dr. Markus Grabka vom DIW (Foto: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)
Nimmt die Einkommen in Deutschland unter die Lupe: Markus Grabka vom DIWBild: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Die Wirtschaft wächst, doch die Löhne sinken. Was paradox klingt, doch laut einer Langzeitstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beschreibt es die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre in Deutschland. Denn obwohl die deutsche Wirtschaft seit der Jahrtausendwende im Mittel ordentlich gewachsen ist und die Gewinne und Vermögenseinkommen kräftig angestiegen sind, hätten davon die meisten Arbeitnehmer kaum profitiert. Ganz im Gegenteil: Vor allem die Löhne von Geringverdienern seien in diesem Zeitraum drastisch gesunken, erklärt DIW-Forscher Markus Grabka am Mittwoch (20.07.2011). "Nimmt man einen mittleren Einkommensbezieher, einen abhängig Beschäftigten in Deutschland, so hatte der im Jahre 2000 ein Nettoeinkommen von 1300 Euro", erläutert der Forscher die Tendenz an einem Beispiel. "Und bis zum Jahre 2010 ist das auf weniger als 1200 Euro gesunken."

Beschäftigtengehälter insgesamt sanken um 2,5 Prozent

Insgesamt sind die Nettoeinkommen aller Beschäftigten seit 2000 in Deutschland im Durchschnitt preisbereinigt um 2,5 Prozent gesunken. Der Rückgang der Einkommen im Niedriglohnsektor betrug dagegen bis zu 22 Prozent. In den oberen Einkommensgruppen gab es zuletzt leichte Zuwächse, in den letzten zehn Jahren gab es hier aber kaum Veränderung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie, für die das DIW seit 1984 Jahr für Jahr etwa 22.000 Personen nach Lebensbedingungen und Einkommen befragt.

Besondere Lohnabstürze hätten dabei Geringverdiener mit einem Nettoeinkommen zwischen 700 und 1300 Euro hinnehmen müssen, zeigt die aktuelle Studie des so genannten sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Für Wilhelm Adamy, arbeitsmarktpolitischer Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ist das ein fataler Trend: "Diese Entwicklung ist im internationalen Vergleich besorgniserregend, denn in keinem anderen Industrieland ist die Einkommensungleichheit und die Armut in den letzten Jahrzehnten stärker gestiegen als in Deutschland."

Scheue Gewerkschaften, mehr Frauen

Ein Lebensmittel-Discounter schreibt im Stellenmarkt einer hessischen Tageszeitung einen Mini-Job aus (Foto: dpa)
Brennpunkt Minijobs: Sieben Millionen Geringverdiener gibt es derzeit in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Die Gründe für die Lohneinbußen gerade bei Geringverdienern seien vielfältig, sagt DIW-Forscher Grabka. So hätten die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen Mitte des Jahrzehnts zu einer drastischen Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland geführt. Am Dienstag (19.07.2011) veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen diesen Trend noch einmal eindrucksvoll: Danach sind Jobs in Deutschland zwischen 2008 und 2010 vor allem in der Zeitarbeitsbranche entstanden.

Einen weiteren Grund sieht Grabka in der höheren Erwerbstätigkeit von Frauen, die noch immer im statistischen Mittel niedrigere Löhne bekämen. Zudem hätten sich die Gewerkschaften mit Lohnforderungen zurückgehalten - eingeschüchtert durch die Angst vor Massenarbeitslosigkeit. Das Ergebnis: 2010 sei die Zahl der Geringverdiener mit mehr als sieben Millionen auf einem neuem Rekordniveau angelangt. Etwa jeder Siebte der 40 Millionen Beschäftigten arbeite in Deutschland damit im Niedriglohnsektor, sagt Grabka.

Für manchen Ökonomen ist das der Beweis, dass die lange geforderte Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarktes und die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit gelungen ist. So sehen das beispielsweise die Ökonomen vom Arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die heftige Kritik an der DIW-Studie üben. Um einen Einkommensrückgang bei Niedrigverdienern feststellen zu können, müsse man "quasi Äpfel mit Birnen" vergleichen, heißt es in einer Meldung des Instituts am Mittwoch (20.7.). "Denn die zehn Prozent der Bevölkerung mit den niedrigsten Verdiensten im Jahr 2000 sind zumeist andere Personen als die Geringverdiener des Jahres 2010". Mehr Teilzeitbeschäftigung und Minijobs habe hier für Verschiebungen gesorgt, aber auch für neue Verdienstmöglichkeiten. Das Ergebnis des Instituts der deutschen Wirtschaft lautet daher: "Je Stunde gerechnet hat es preisbereinigt bei den Verdiensten einen leichten Anstieg von gut ein Prozent gegeben". Das sei zwar direkt im Geldbeutel nicht zu spüren, wohl aber die zwei Millionen neue Jobs, die durch einen flexiblen Arbeitsmarkt und moderate Lohnsteigerungen entstanden seien.

Gewerkschaften und die Oppositionsparteien plädieren dagegen angesichts der vom DIW festgestellten Einkommensrückgänge noch vehementer für einen flächendeckenden Mindestlohn. Diese Forderung findet auch beim Forschungsinstitut der staatlichen Bundesagentur für Arbeit Unterstützung. Bislang gibt es Mindestlöhne aber nur in einigen Branchen, so zum Beispiel bei Wachdiensten, Gebäudereinigern und in der Pflegebranche. Doch DIW-Forscher Grabka warnt: Auch der Mindestlohn sei kein Allheilmittel. "Die Einführung eines Mindestlohnes würde natürlich für den unteren Einkommensbereich eine Stabilisierungsfunktion ausüben", sagt Grabka. Da aber bei allen Bevölkerungsgruppen das Einkommen entweder nur leicht gestiegen ist, die Einkommen stagnieren oder sie sogar zurückgegangen sind, helfe die Einführung eines Mindestlohnes nur einem kleinen Teil der Beschäftigten wirklich weiter.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen es richten

Ärzte-Streik in Oberbayern (Foto: dpa)
Löhne werden in Deutschland zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt - ohne Einigung gibt es StreikBild: picture alliance/dpa

Beim Bundesarbeitsministerium sieht man angesichts der Ergebnisse der DIW-Studie keinen Handlungsbedarf, trotz der erschreckenden Zahlen aus dem Niedriglohnbereich. Ob und in welcher Höhe in Deutschland Lohnuntergrenzen eingeführt würden, sei Teil der wiederkehrenden Tarifverhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sagte ein Sprecher des Ministeriums der Deutschen Welle am Dienstag (19.7.2011). Wenn es Missstände gebe, müssten diese in den dort geführten Tarifverhandlungen behoben werden. Das Ministerium verweist in seinem Internetauftritt auf eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW Mannheim). Die im Februar 2010 veröffentlichte Auftragsstudie des Finanzministeriums kommt zum Schluss, dass Deutschlands tendenziell schrumpfende Einkommen kein Einzelfall seien. So wären auch in anderen Industrieländern wie Frankreich, Italien, Japan und den USA in den Jahren 1991 bis 2005 die Einkommen aller Beschäftigten in der Summe gefallen. Was den Schluss nahe lege, dass schrumpfende Einkommen in Deutschland auch auf globale Ursachen wie den technischen Fortschritt zurückzuführen seien, so die Studie.

Für den arbeitsmarktpolitischen Sprecher des DGB-Bundesvorstandes, Wilhelm Adamy, ist das nur die halbe Wahrheit. Denn auch der Gesetzgeber müsse ein großes Interesse daran haben, Menschen erst gar nicht in den Niedriglohnsektor abrutschen zu lassen. "Wer einmal im Niedriglohnsektor prekär beschäftigt war, bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit auch prekär beschäftigt und gerät damit in eine Falle am Arbeitsmarkt, also ganz anders als es uns viele versucht haben zu verkaufen." Doch selbst wenn Gewerkschaften 2011 deutliche Lohnsteigerungen durchsetzen könnten: Angesichts anziehender Inflation im Euro-Raum dürfte gerade Geringverdienern in Deutschland wenig zum Leben übrig bleiben.

Autor: Richard Fuchs
Redaktion: Kay-Alexander Scholz