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Klima-Aktivisten protestieren gegen britisches Bahnprojekt

Dan Ashby | Lucy Taylor
20. Februar 2021

Im Protest gegen ein Bahnprojekt besetzen junge Leute einen unsicheren, engen Tunnel. Die Regierung nennt die HS2-Linie unverzichtbar für die Klimaziele.

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Ein Anti-HS2-Schild bei einem Klima-Protestcamp
Ein Anti-HS2-Schild bei einem Extinction Rebellion Camp im Januar. Die Gruppe unterstützt die Rettung der WälderBild: Getty Images/L. Neal

Unter der Londoner Euston Station ist die Umweltaktivistin Blue Sandford in einem illegal gegrabenen Tunnel am Knöchel festgekettet. Der Tunnel, vier Meter tief und 30 Meter lang, ist nass und schlammig. Er ist mit Holzgerüsten abgestützt und an manchen Stellen gerade so hoch, dass man flach auf dem Bauch liegen kann. Die 18-Jährige widersetzt sich den britischen Behörden, als diese versuchen, sie und andere Demonstranten herauszuholen.

Unter dem Schutz eines Zeltes hatten die "Stop HS2"-Aktivisten zwei Monate lang heimlich mit Schaufeln und Eimern den Tunnel gegraben, bevor sie die Aktion am 27. Januar öffentlich machten und sich verbarrikadierten.

Eine junge Frau und ein Mann in einem unterirdischen Tunnel
Blue Sandford und ihr Bruder Lazer Sandford in einem heimlich gegrabenen Tunnel unter den Londoner Euston Square Gardens, die durch HS2 gefährdet sind Bild: HS2 Rebellion

Sie protestieren gegen das britische High-Speed-2-Bahnprojekt (HS2), für das alte Wälder gerodet werden sollen, um Platz für Gleise und andere Infrastrukturen zu schaffen. Auch Euston Square Gardens, ein Park vor dem Bahnhof, müsste dafür umgebaut werden, behaupten die Demonstranten.

"Wir, ja die ganze Welt, haben im Hinblick auf CO2 und Gas und Methan gigantische Schulden. Wir müssen anfangen, Bäume zu pflanzen, statt sie zu fällen" sagt Sandford aus dem Tunnel am Telefon der DW.

Vier der Tunnelbauer, darunter Sandfords Bruder Lazer, wurden inzwischen entweder gewaltsam entfernt oder verließen den Tunnel freiwillig. Lazers Arm steckte in einem betonummantelten Stahlrohr, das herausgebohrt werden musste. Mindestens drei weitere Protestierende sind noch unten, obwohl befürchtet wird, dass der behelfsmäßige Durchgang einstürzen könnte. Für die Demonstranten steht viel auf dem Spiel, denn die Aktion ist – ihrer Ansicht nach – repräsentativ für den größeren Kampf gegen den Klimawandel.

"Ich bin hier, weil wir vor einem gesellschaftlichen Zusammenbruch stehen, vor Kriegen, Hungersnöten und Dürren in noch nie da gewesenem Ausmaß und ich habe wirklich Angst um meine Zukunft", sagte Sandford in einer aufgezeichneten Nachricht, bevor die Behörden eintrafen.

Ein Arm, ummantelt von einem Stahlrohr und umschlossen von Beton
Lazer Sandford hatte seinen Arm in Stahl und Beton gesichert, um seine Entfernung aus dem Tunnel zu erschwerenBild: HS2 Rebellion

Grüne Revolution oder CO2-Albtraum?

HS2 ist das gigantische neue Infrastrukturprojekt der britischen Regierung, das die Hauptstadt London an Städte wie Manchester im Norden anbinden soll. Nach jahrelangen Verzögerungen begannen im September 2020 endlich die Bauarbeiten.

Die Schnellzüge haben auf dieser Strecke eigene Gleise, so dass das bestehende Schienennetz für mehr Nahverkehr freigegeben werden kann, was den Autoverkehr reduzieren soll.

Laut HS2 ermöglichen diese Züge Überlandfahrten mit siebenmal weniger Emissionen als Autos und transportieren auch Güter, was umweltschädliche LKW-Fahrten reduziert.

Gareth Dennis ist ein Verfechter von nachhaltigem Verkehr und unabhängiger Eisenbahningenieur. Seiner Ansicht nach ist das Projekt ein wichtiger Bestandteil des Plans, im Vereinigten Königreich Emissionen zu reduzieren und wird zu Unrecht in Verruf gebracht.

"Von all den Autobahnen und Straßen, die im ganzen Land gebaut werden und die einen riesigen zusätzlichen Schaden verursachen, hören wir gar nichts. Es gibt Bulldozer, Bagger, Baumfällungen, genau jetzt, ohne dass jemand aus Protest ein kompliziertes Tunnelnetz gräbt", sagte Dennis.  

Ein Streitpunkt ist, wie lange es dauert, bis das umweltfreundlichere Reisen die Emissionen aus Bau und Betrieb von HS2 ausgeglichen hat. Nach einer Schätzung der regierungseigenen Kommission Oakervee Review aus dem Jahr 2019, könnte es bis zu 60 Jahre dauern.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson in orangefarbener Warnweste und Schutzhelm 
Großbritanniens Premier Boris Johnson beim Besuch der Baustelle des HS2-Projekts Solihull Interchange bei Birmingham Bild: Getty Images/AFP/A. Fox

Adam Turner ist Mitglied von Greens4HS2, einer Fraktion der Green Party, die elektrische Hochgeschwindigkeitsbahnen unterstützen, um in der Zukunft Nullemission zu erreichen und die sich damit gegen die offizielle Parteirichtung stellen, die HS2 ablehnt. Nullemission bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen den in die Atmosphäre gepumpten und den aus ihr – zum Beispiel durch Bäume – gespeicherten Treibhausgasen zu erreichen. Turner sagt 60 Jahre seien zwar nicht ideal, aber das Vereinigte Königreich müsse die größeren Zusammenhänge sehen.

Nach einer Analyse von Greens4HS2 könnte dieser Zeitraum auf 28 Jahre reduziert werden, "wenn die Regierung die Menschen in großer Zahl weg von Flugzeugen und Autos und hin zu den Zügen bringen kann", fügte Turner hinzu.

Die Demonstranten hingegen behaupten, dass es viel länger dauern wird, da sie glauben, dass die Schätzungen zu Gunsten von HS2 verzerrt sind und den wachsenden Einfluss von emissionsfreien Elektroautos nicht ausreichend berücksichtigen.

Uralte Wälder

Besonders emotional ist die Debatte um die Rodung alter Wälder, um Platz für neue Trassen zu schaffen.

Die englische Landwirtin Penny McGregor musste mitansehen, wie ein Wald in der Nähe von Birmingham, einer Stadt in Englands Midlands, von HS2 in Besitz genommen und 2020 teilweise abgeholzt wurde. Und obwohl die Gemeinde das Gebiet als ein Schutzgebiet voll wilder Anemonen und Vogelgezwitscher schätzte, sah man tatenlos zu, wie es zerstört wurde.

"Es war alles sehr traumatisch, die ganze Zeit", sagt McGregor. "Ich konnte jeden Morgen von meinem Haus aus die Kettensägen hören. Es war furchtbar. Die Leute auf den Fußwegen sagten, sie hörten die Bäume niederkrachen."

Die Kritiker von HS2 weisen darauf hin, dass nur 13 Prozent der Fläche Großbritanniens bewaldet ist, im Vergleich zu mehr als 35-40 Prozent in der EU, und dass die Zerstörung von Altwäldern für das Projekt inakzeptabel sei.

Die britische Naturschutzorganisation Woodland Trust bezeichnete HS2 als "verheerend" und sagt, das Projekt gefährde einzigartige Lebensräume sowie seltene und bedrohte Tiere und werde das Artensterben in Großbritannien noch vorantreiben.

Zwei Frauen sitzen auf dem Boden bei einem Umweltprotest. Eine Frau lächelt in die Kamera. Sie trägt eine Jacke mit einem "Extinction Rebellion”-Aufnäher
Blue Sandford wird "UKs Greta Thunberg" genannt und war Teil der Schulstreiks und Extinction Rebellion-ProtesteBild: HS2 Rebellion

Große Parteien auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums, einschließlich der Green Party und der UK Independence Party (UKIP), haben sich wegen der Kosten und Umweltschäden ebenfalls gegen HS2 ausgesprochen. Im Jahr 2019 bezeichnete die Green Party das Projekt als einen Akt des "Ökozids", der Lebensräume um die Hälfte reduzieren würde.

Doch die Befürworter des Hochgeschwindigkeitszug-Projekts mahnen zur Besonnenheit. Nur 43 von 52.000 alten Waldflächen seien betroffen und zur Kompensation von HS2 werde man sieben Millionen neue Bäume pflanzen, um die CO2 Emissionen auszugleichen – einheimische Arten, die von einer führenden britischen Baumschule speziell ausgewählt wurden.

Das Projekt betreffe nur einen winzigen Bruchteil des britischen Baumbestandes, sei aber notwendig, um Emissionen zu senken, so Adam Turner von Greens4HS2.

"Wenn wir es nicht bauen, wird Großbritannien keine Emissionsfreiheit erreichen. Und wenn Großbritannien keine Emissionsfreiheit erreicht, werden wir uns nicht nur von einem Waldkorridor verabschieden, sondern von Altwäldern auf der ganzen Welt. Das steht auf dem Spiel", sagt Turner.

Keiner gibt nach

Im Moment lassen sich weder HS2 noch die Demonstranten beirren. Die erste Phase von HS2, die London an Birmingham anbindet, soll bis 2031 abgeschlossen sein, die zweite Phase nach Manchester und Leeds bis 2040.

Aber die Aktivisten warnen, dass es noch weitere Tunnelproteste geben wird.

Blue Sandford bleibt weiter im Tunnel und könnte für ihre Teilnahme an den Protesten strafrechtlich belangt werden. Aber sie sagt, sie habe kaum eine andere Wahl.

"Ich möchte nicht so viel Angst haben, dass ich mein Leben riskieren muss. Aber ich habe das Gefühl, dass ich keine Wahl habe", sagte sie. "Wählen gehen hat nicht funktioniert. Briefe an Abgeordnete haben nicht funktioniert. Das ist das Einzige, was ich tun kann."