Klimacamp gegen Braunkohle
30. August 2013Franz Köhnlein strahlt. Der 92-Jährige sitzt mit einer Michael-Schumacher-Kappe auf der Wiese am Dorfrand von Kerpen-Manheim zwischen vielen bunten Zelten. Die Formel-1-Legende Schumacher, die in dem Ort aufwuchs, kommt nicht mehr her. Und Franz Köhnlein wird gezwungen, bald seine Heimat zu verlassen.
Ein paar Meter neben Köhnlein schneiden junge Leute Gurken und rühren in Suppentöpfen, die mit Solarenergie angeheizt werden. Andere haben sich zu Diskussionsrunden in Zirkuszelte oder auf die Wiese zurückgezogen. Stolz sei er auf die Jugendlichen, sagt Köhnlein. 700 junge Menschen aus ganz Europa haben sich in Manheim ganz im Westen Deutschlands versammelt, um gemeinsam gegen den Energiekonzern RWE zu protestieren und gegen die Politik, die ihrer Ansicht nach die Umwelt zerstört.
RWE fördert in der Region um Manheim Braunkohle, aus der Strom gewonnen wird. Die Politik unterstützt den Abbau mit dem Argument, Braunkohle sei notwendig, um künftig keinen Strom von Atomkraftwerken mehr nutzen zu müssen.
Umzug mit 92 Jahren
Franz Köhnlein ist direkt vom Braunkohletagebau betroffen. In seinem hohen Alter muss er umziehen. Denn RWE lässt sein Dorf abbaggern, um an die wertvolle Kohle unter der Erde zu gelangen. Wo er bald wohnt, weiß er noch nicht. Die Leiche seiner Frau wird auf einen anderen Friedhof umgebettet. "Was soll ich machen?", fragt er mit kräftiger Stimme und zuckt ratlos mit den Schultern.
Er hat für seinen erzwungenen Umzug Geld bekommen, aber weiß nicht, was er damit soll. "Die Heimat ist weg! Wir haben uns nicht gewehrt gegen die Banditen von RWE und den Staat. Was RWE macht, ist ein Verbrechen an der Menschheit", poltert der alte Mann. "Nun sind die jungen Leute hier, aber 20 Jahre zu spät."
Der verspätete Protest
Köhnlein kann den Kohleabbau in seinem Dorf nicht mehr stoppen. Aber nach Ansicht der Teilnehmer des sogenannten Klimacamps ist es nicht zu spät. Sie lassen sich nicht von der Polizei einschüchtern, die regelmäßig im Zeltlager ist, oder von den Fahrern in den weißen Wagen, die im Auftrag von RWE die Teilnehmer des Zeltlagers fotografieren.
Konzerne wie RWE gebe es überall, Umweltprobleme und Alternativen auch, sagt Tatjana aus Serbien. Sie studiert Ökologie, weil sie die Natur sehr schätzt und etwas gegen die Umweltverschmutzung und Müll tun will. Das Umweltbewusstsein in ihrem Land sei noch nicht sehr ausgeprägt, gesteht sie. In Manheim will die Studentin lernen, wie man ein solches Camp organisiert.
Die Teilnehmer des Zeltlagers wollen gemeinsam auf die Erderwärmung aufmerksam machen, haben viel Wissen und Erfahrungen, um Alternativen für die Umwelt zu suchen und handeln. Henry aus Nantes in Frankreich sagt, Naturkatastrophen würden ausgelöst von Industrien, die aus Profitgier handelten. In Nantes hat er mit anderen aus Protest das Gelände ZAD (Zone à deféndre) besetzt, wo ein europäischer Großflughafen entstehen soll. Im Camp will er sich mit anderen austauschen und diskutieren, welche Formen von Protest erlaubt sind.
Leben ohne Kühlschrank
Im Zeltlager treffen ganz verschiedene Menschen aufeinander. Thomas, der Mittvierziger, der mit dem Fahrrad aus Stuttgart gekommen ist, will über seine Erfahrungen sprechen, ohne Kühlschrank und Wasser aus dem Wasserhahn auszukommen. Lebensmittel lagert er im Sommer in kühlen Erdlöchern. Sebastian, der Elektrotechnik studiert, berichtet von Studien, die besagen, dass innerhalb der nächsten 20 Jahre die Welt mit alternativen Energien versorgt werden könnte. Er findet, dass die Wirtschaft nicht immer weiter wachsen kann, aber es Konzepte braucht, damit die Menschen trotzdem genug zum Leben haben.
Und Andreas will Umweltpsychologe werden. Er will den Leuten Energiebewusstsein vermitteln. Vor einem Jahr hat er sich - per Zufall - einen Braunkohletagebau angesehen: "Ich war erschüttert von der Zerstörungswut, mit der die Menschen hier das Land umgraben, um an die Kohle zu kommen." Die Bilder haben ihn nicht losgelassen. Seither betreibt er Aufklärungs- und Bildungsarbeit an der Universität, hält Vorträge und zeigt Filme über Umweltverschmutzung und Klimaschutzmaßnahmen.
Inzwischen treffen sich die Umweltschützer zum dritten Mal im Klimacamp in Manheim. Dorothee Heußermann, die das Treffen mitorganisiert, ist seit dem ersten Mal dabei. "Ich war gar nicht politisch aktiv. Irgendwann habe ich aber begonnen, mir Sorgen zu machen über den Klimawandel. Ich dachte, es reicht nicht mehr, wenn ich mehr darüber lese und versuche, Strom zu sparen." Rund um Kerpen-Manheim seien die Folgen der Ausbeutung der Erde konkret zu sehen und hier wolle man ansetzen.
Die EU fördert das Klimacamp
"Wir werden immer mehr", freut sich Dorothee Heußermann, "wir haben ein europäisches Netzwerk gegründet und das Camp wird sogar von einer ökologischen Jugendinitiative der Europäischen Union gefördert."
Natürlich gebe es vereinzelt Aktionen des Protests, sagt Dorothee Heußermann vieldeutig. Sie wollen nicht durch Chaos auffallen, keinen Krawall machen, friedlich demonstrieren, aber doch Aktionen machen, die für RWE und die Polizei "unangenehm" seien. Vergangenes Jahr setzten sich 80 Aktivisten auf Gleise, blockierten damit die Bahn, mit der die Kohle transportiert wird. Irgendwann am Nachmittag macht sich Aufbruchstimmung breit. Eine große Gruppe der Teilnehmer will den nahen Tagebau besichtigen. Damit sie sich wieder mal ein Bild machen können von dem, gegen das sie kämpfen. Und sie wollen sich Orte anschauen, um dort mit ähnlichen Aktionen wie der Gleisbesetzung aufmerksam zu machen.