Schweden: Wie die Wirtschaft wächst und Emissionen sinken
12. August 2024Schweden scheint ein Rezept gefunden zu haben, wie man das Klima schützen kann, ohne auf Wirtschaftswachstum verzichten zu müssen.
"Man muss das Wohlstandsniveau nicht senken, um die Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren", sagt Mattias Goldmann, Gründer des schwedischen 2030-Sekretariats, der daran arbeitet, dass Schweden sein Klimaziel für den nationalen Verkehrssektor erreicht.
Schweden übertrifft laut der Europäischen Umweltagentur alle anderen europäischen Länder, wenn es um die Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen geht.
Bereits 1990 stieß das Land fünfmal weniger CO2 pro Kopf aus als der europäische Durchschnitt. Seitdem hat Schweden seine Netto-Treibhausgasemissionen um weitere 80 Prozent gesenkt, während der durchschnittliche Rückgang in der EU nur 30 Prozent betrug.
Besonders beeindruckend dabei ist, dass Schweden — ein stark industrialisiertes Land, das Stahl, Zement und Autos produziert — es geschafft hat, seine Emissionen zu reduzieren und dabei gleichzeitig das Wirtschaftswachstum zu verdoppeln.
Wie hat Schweden das genau bewerkstelligt?
In saubere Energiequellen investieren
Das skandinavische Land hat einige natürliche Vorteile. Zum einen bestehen 70 Prozent der Fläche aus Waldgebieten. Und Wälder sind sehr nützlich, wenn es darum geht, Treibhausgase zu reduzieren, da sie CO2 aus der Atmosphäre ziehen.
Das Land ist zudem mit viel Wind, sowie Bergen, Bächen und Seen gesegnet — ideal für erneuerbare Energien.
Schweden erkannte frühzeitig sein natürliches Potenzial und begann bereits viel früher als viele andere Länder, in erneuerbare Energiequellen zu investieren.
"Schweden hat seit mehr als einem Jahrhundert Wasserkraft", so Goldmann.
Das Land hat auch bereits in den 1970er-Jahren, als die globale Ölkrise kam, fossile Brennstoffe aus dem Energiemix entfernt. Als andere Länder nach alternativen Energiequellen suchten, baute Schweden die Kernenergie erheblich aus.
Heute stammt fast 70% des schwedischen Stroms aus erneuerbaren Quellen, insbesondere Wasserkraft und Windenergie. Der Rest des Strombedarfs wird durch Kernenergie gedeckt. Das bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen bei der Stromproduktion derzeit nahezu null sind.
"Schweden verwendet also fast keine fossilen Brennstoffe zur Stromproduktion. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das eine ganz andere Welt", sagt Jorre De Schrijver, Energieexperte der Europäischen Umweltagentur.
Dekarbonisierung der Wärmeproduktion
Und es ist nicht nur der Strom, der in Schweden ohne fossile Brennstoffe produziert wird — das gilt auch für die Wärmeversorgung.
Wie hat Schweden das geschafft?
Der erste Schritt war, frühzeitig in Fernwärmesysteme zu investieren, die effizienter sind. Das bedeutet, dass anstelle eines Heizgeräts in jedem Haus große zentrale Heizungen gebaut werden, die über isolierte Rohre und unterirdische Infrastruktur mit vielen Häusern und Industriegebieten verbunden sind.
"Man braucht die Zusammenarbeit von Regierung und Privatsektor, um diese Infrastruktur bereitzustellen", sagt Asa Persson, die die schwedische Regierung in Klimafragen berät und deren Leistung bewertet.
Es ist auch ziemlich teuer; denkt alleine an all die Rohre, die über ganze Stadtviertel verlegt werden müssen. Trotzdem entschied sich die Regierung frühzeitig für diesen Ansatz und hielt daran fest.
"Sie haben die Vorteile dieser größeren Systemlösungen erkannt. Schweden als kaltes Land hatte einen echten Anreiz, ein energieeffizientes Heizsystem einzurichten, um die Bevölkerung zu versorgen", sagt Persson.
Das Gute an Fernwärme ist, dass man die verwendeten Brennstoffe wechseln kann. Früher setzte Schweden auf fossile Brennstoffe wie Öl und Kohle. Seit den 1990er-Jahren legte das Land besonderen Wert auf die Entwicklung erneuerbarer Energien und insbesondere auf Energieeffizienz und investierte in die Nutzung von Biomasse für Energie, insbesondere Holzpellets. Heute stammt 97 Prozent der Wärme in Schweden aus Biokraftstoffen und der Verbrennung von Abfällen.
"Schweden hat es geschafft, die Emissionen aus Strom und Wärme in den letzten 30 Jahren um 70 Prozent zu reduzieren. Das zeigt, dass große, mutige Veränderungen möglich sind", sagt Persson.
Starke Gesetze: Anreize für Menschen und Unternehmen
Und diese großen, mutigen Veränderungen kamen nicht von ungefähr. Schweden hat seit den 1990er-Jahren klare Klimastrategien umgesetzt, wie die Einführung einer der weltweit ersten – und mittlerweile einer der höchsten — CO2-Steuern, die Industrien und Einzelpersonen für die von ihnen ausgestoßenen CO2-Emissionen berechnet.
"Es gibt eine klare Botschaft für uns: Entweder wir tun etwas, das schlecht für die Umwelt ist und müssen die Steuer zahlen, oder wir tun etwas, das besser ist und werden nicht besteuert", sagt Goldmann.
Eine empirische Fallstudie aus dem Jahr 2019 ergab, dass die schwedische CO2-Steuer einen signifikanten Einfluss auf die CO2-Emissionen hatte: Sie war für einen Rückgang der Emissionen aus dem Transportsektor um 6 Prozent in einem Durchschnittsjahr verantwortlich.
Und sie beschleunigte die Veränderungen im Energie- und Wärmesektor: indem sie Menschen und Unternehmen den Anreiz gab, in erneuerbare Energien anstelle von fossilen Brennstoffen zu investieren.
Während in vielen Ländern die Öffentlichkeit gegen CO2-Steuern protestiert, ist die Akzeptanz in Schweden hoch.
"Es gibt schon lange Unterstützung für die Umwelt- und Klimapolitik in Schweden, und das Land hat sich auch damit gebrüstet, ein Vorreiter in diesem Bereich zu sein", sagt Persson.
Und das gilt über das gesamte politische Spektrum hinweg. Sieben von acht Parteien einigten sich bereits 2017 auf das weltweit strengste Klimaziel: bis 2045 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
"Es ist ein weltweit federführendes Ziel, das den Unternehmen und Bürgern einen starken Glauben daran gab, dass die Klimapolitik tatsächlich verfolgt wird und dass ich als Bürger darin investieren kann, in dem Wissen, dass es auch bei einem Regierungswechsel bestehen bleibt", sagt Goldmann.
Rückschläge durch die russische Invasion in der Ukraine
Während Schweden einige große Schritte zur Reduzierung seiner Emissionen unternommen hat, sind noch nicht alle Sektoren erfolgreich dekarbonisiert. Verkehr und Landwirtschaft sind derzeit Schwedens größte Emissionsquellen.
Besonders der Verkehrssektor ist derzeit Schwedens größtes Sorgenkind.
Nach der Energiekrise, die durch die russische Invasion in der Ukraine verursacht wurde, hat die konservative Regierung Schwedens einige wichtige Strategien zurückgenommen. Sie hat die Benzin- und Dieselsteuern um ein Viertel gesenkt, was bedeutet, dass Schweden nun zu den Ländern mit den niedrigsten Diesel- und Benzinpreisen in Europa gehört.
Sie führte auch andere Maßnahmen ein, die das Autofahren günstiger machen, um notleidende Haushalte zu unterstützen, während sie Anreize zum Kauf von Elektrofahrzeugen abgeschafft hat.
"Wir erhöhen die Emissionen gerade um etwa 5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Tatsächlich ist dies der größte Anstieg der Transportemissionen in der Geschichte Schwedens", sagt Goldmann.
Aber er glaubt, dass es sich nur um einen vorübergehenden Rückschlag handelt. Die Regierung habe versprochen, dass diese neuen Maßnahmen nur kurzfristig sein würden. Und: Schweden sei immer noch auf Kurs, die Ziele für den Verkehrssektor zu erreichen: eine Reduzierung der Emissionen um 70 Prozent zwischen 2010 und 2030.
Erkenntnisse für andere Länder
Welche Lektionen können andere Länder aus der schwedischen Erfolgsgeschichte lernen?
"Schweden zeigt, dass es tatsächlich möglich ist, Strom ohne jegliche Treibhausgasemissionen zu produzieren, und das ist ein Beispiel für andere Länder auf der Welt", sagt De Schrijver.
Kann Schwedens Ansatz als Vorlage für andere Länder dienen?
"Findet heraus, wo euer hauptsächlicher Klimaeinfluss liegt und wo ihr den größten Unterschied machen könnt. Findet heraus, was euer einzigartiger Verkaufsfaktor als Land ist, wo euer Einstiegspunkt liegt, und baut darauf auf", sagt Goldmann.
"Das wird euch die grünen Unternehmen, die grünen Arbeitsplätze, die Milliarden an Exporteinnahmen bringen, die ihr für andere Dinge nutzen könnt, wie zum Beispiel besseres Wohlergehen, bessere Bildung, und so weiter", fügt er hinzu.
Laut Goldmann ist die Situation zwar in jedem Land unterschiedlich, aber was wichtig ist, dass alle in die Prozesse einbezogen werden. Und Persson stimmt zu.
"Die größte Lektion ist, dass du eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Privatsektor und auch der lokalen Verwaltung benötigst, um diese Systemlösungen wirklich gemeinsam zu entwickeln und Risiken einzugehen, große langfristige Investitionen zu tätigen. Das war ein Erfolgsfaktor für die Dekarbonisierung Schwedens," sagt sie.
Redaktion: Sarah Steffen