Klimakühlende Moore
15. Juni 2015Wenn Geerd Smidt durchs Moor läuft, schützen ihn Pfade aus Holzplanken vor der Gefahr des Versinkens. Smidt forscht am Europäischen Fachzentrum für Moor und Klima im niedersächsischen Wagenfeld. Er empfindet Freude darüber, "dass in lebenden Mooren unter meinen Füßen mehr Wasseranteile enthalten sind, als in der Milch, die ich trinke."
Der Biologe und promovierte Geowissenschaftler gehört einem Netzwerk von Experten an, die Moore "vernässen", das heißt, sie wieder in Stand setzen. Sie schützen die Moore und suchen nach Alternativen für Torf, einem wertvollen Rohstoff, den Menschen aus dem Moor gewinnen.
Der Wandel zurück zum Moor wurde vor wenigen Jahrzehnten eingeleitet. Bis dahin galten Moore als lebensfeindliche Zonen: "O schaurig ist´s, übers Moor zu gehen", brachte Dichterin Annette von Droste-Hülshoff auf den Punkt, was Menschen über karge Sumpflandschaften dachten. Denn in der von Nebel umgebenen Wildnis gab es noch keine Holzpfade, wie sie Wanderer heute nutzen können. Man konnte kein Haus dort bauen, sich höchstens verirren und schlimmstenfalls versinken, um dann als Moorleiche zu enden.
Moorleichen sehen gruselig aus, weil der pH-Wert der Moore sehr sauer ist. Die Säure führt erst zur Entkalkung dann zur Auflösung der Knochen. Säuren zehren an Haut, Haaren und Gewebe und lassen die menschliche Hülle wie gegerbtes Leder erscheinen. Durch die sauerstofffreie Lagerung unter der Wasseroberfläche werden Leichen konserviert, deshalb sind sie nach Jahrtausenden noch gut erhalten.
Genau so verhält es sich mit den Pflanzen wie Torfmoosen, Heiden und Gräsern, Erlen und Kiefern, die im seichten Moorwasser gedeihen: Sie verrotten nicht zu Humus, sondern verfilzen zu faserreichem Torf. Der Sauerstoffmangel im Moorwasser entsteht durch das Absinken der Pflanzen in einem Gebiet mit starken Niederschlägen.
Seitdem klar ist, welch immense Bedeutung Moore für den Klimaschutz und die Artenvielfalt haben, werden diese Feuchtgebiete weltweit renaturiert. "Die Torfschicht wächst pro Jahr nur um einen Millimeter. Die Entstehung von Mooren dauert daher Tausende von Jahren", beschreibt Smidt den status quo.
Raubbau in den Mooren
Über Jahrhunderte wurden Moore entwässert und abgetorft, um Flächen für Weide- und Ackerland zu gewinnen. Getrockneter Torf ist wie Kohle ein fossiler brennbarer Rohstoff. Er wurde früher zum Heizen "gestochen". Torfrauch verleiht Whisky beim Brennen seinen charakteristischen Geschmack. Und als Badezusatz wird Moor eine heilende Wirkung nachgesagt. In riesigen Mengen wird Torf für den professionellen Gartenbau abgebaut. Die Substratmischung - also Anzuchterde -, in der Pflanzen gedeihen, besteht bis zu 90 Prozent aus faserreichem Torf.
Durch seine Luftigkeit und die Eigenschaft, Wasser zu speichern, haben Wurzeln viel Platz, sich in torfiger Erde auszubreiten und damit das Pflanzenwachstum anzuregen. Blumen, das gesamte Obst und Gemüse werden mit Torf angereichert - als Substrat. "Der Abbau von Torf war gesellschaftlich lange so gewollt. Da es hier in Niedersachsen besonders viele Moore gibt, werden in großem Umfang Erden produziert", sagt Smidt.
Doch der Torfabbau soll verboten werden, da er zum dauerhaften Lebensraumverlust vieler Tier- und Pflanzenarten und zur Schädigung des Klimas führt. In den einzelnen Bundesländern wurden Moorschutzprogramme zur Renaturierung aufgelegt. "Ein landwirtschaftlich genutzter Acker auf einem Hochmoorboden emittiert 37 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr", betont Forscher Smidt.
Nur intakte Moore speichern CO2
Moore speichern doppelt soviel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde. Nach Angaben des NABU (Naturschutzbund Deutschland) enthält eine 15 Zentimeter dicke Torfschicht so viel Kohlenstoff wie ein 100-jähriger Wald in Deutschland.
Besonders dramatisch steht es um die Moore in den sibirischen Permafrostböden: "Der Klimawandel bedroht die Moore. Wenn die auftauen, beginnt der Zersetzungsprozess, wobei riesigen Mengen an Emissionen anfallen", befürchtet Smidt.
Erderwärmung und Trockenlegung wirken sich gleichmaßen nachteilig für Moore aus. Durch die Entwässerung zersetzt sich Torf bei der Trocknung. Dadurch entweicht Kohlenstoff, der dort Tausende Jahre im Boden gelagert hatte. Er gelangt als klimaschädigendes Kohlendioxid (CO2) neben Methan und anderen Treibstoffgasen in die Atmosphäre.
Deutschland ist weltgrößter Substratexporteur
"Moorboden muss nass sein oder nach dem Torfstechen wieder vernässt werden, damit keine Treibhausgasemissionen freigesetzt werden", hebt Geerd Smidt hervor. Der Biologe erforscht die Anbaumöglichkeiten von Torfersatzstoffen als Alternative. Weil Deutschland seine Moore schützt, verliert es zwangsläufig seinen Rang als führender Produzent für Anzuchterde, also müssen Alternativen her: Kompost ist zu nährstoffreich. Holzfasern, Rinden, Tongranulat, Flachse, Chinaschilf, Lavaerde oder Reisspelzen eignen sich und auch Kokosfasern. "Aber die müssen aus Indonesien oder Sri Lanka importiert werden,“ sagt Smidt.
Dies sei einerseits schlecht für die Ökobilanz, andererseits besteht die Gefahr, dass die Moore dann dort ausgebeutet werden, wo der Umweltschutz nicht so sehr beachtet wird. "Wenn wir hier in Niedersachsen keine Alternativen finden, dann kommt der Torf woanders her“, etwa aus dem Baltikum oder Russland, wo es riesige Abbaugebiete gibt. Die führenden Torfhersteller haben längst Niederlassungen in Estland, Lettland und Litauen gegründet.
Bringen Torfmoose Entlastung?
Mit Torfmoosen experimentieren die Wissenschaftler der Uni Greifswald. Die Moose können unbegrenzt wachsen, während sie andere Konkurrenten verdrängen. Und sie sind anpassungsfähig bei Klimawandel: Sie überleben Trockenperioden, und bei starken Niederschlägen quellen sie auf, da ihre Speicherzellen mehr als das 30-fache der Trockenmasse an Wasser aufnehmen können.
Nach nur drei Jahren kann man den so produzierten Zucht-Torf ernten, der aus dem unvollständig zersetzten Gewebe der Pflanzen unter der Wasseroberfläche entsteht. "Aber die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen", sagt Smidt.