Klimawandel als Konfliktkatalysator
6. November 2017Es war Mitte Oktober in Zentralnigeria. In dem Dorf Nkyie Doghwro suchen Menschen Schutz in einer Grundschule. Vergeblich. Am Ende sind 29 Menschen tot. Opfer eines seit Jahren schwelenden Kampfes zwischen Viehzüchtern und Bauern und Kleinbauern. In diesem vergessenen Konflikt wurden in Nigeria in den letzten 15 Jahren über 60.000 Menschen getötet - fast viermal so viele wie durch die Terrororganisation Boko Haram.
Konflikte wie der zwischen Viehzüchtern und Bauern kennt man aus amerikanischen Westernfilmen. In vielen Ländern Afrikas sind sie Wirklichkeit - und deutlich brutaler als die Vorbilder aus Hollywood. Wenn traditionelle Weidegründe vertrocknen und sich nomadische Viehzüchter neue Wege abseits traditioneller Wanderwege suchen, ist Konflikt genauso programmiert, wie wenn durch Klimawandel vertriebene Kleinbauern auf der Suche nach neuem Land ihre Feldfrüchte anbauen, wo zuvor Viehherden durchzogen. So kann man es in dem Neuen Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI nachlesen.
SIPRI-Direktor Dan Smith unterstreicht im DW-Interview den Zusammenhang von Klimawandel und Sicherheit: "Die Auswirkungen des Klimawandels tragen zusammen mit anderen sozialen, ökonomischen und politischen Komponenten zu Verhältnissen bei, in denen Konflikte gewaltsam ausgetragen werden."
Das Thema ist nicht neu. Aber es drängt immer mehr. Schon 2008 warnte der Essener Sozialpsychologe Harald Welzer in seinem Buch "Klimakriege" vor dem Zusammenbruch sozialer Ordnungen als Folge des Klimawandels.
2012 prophezeite ein gemeinsames Papier der US-Geheimdienste "viele für die USA wichtige Staaten würden während der nächsten 10 Jahre unter Wassermangel oder auch Überflutungen leiden". Das wiederum würde das Risiko von Instabilität und scheiternden Staaten erhöhen sowie zu regionalen Spannungen führen.
Und nachdem das US-Verteidigungsministerium den Klimawandel als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft hat, erkannte im Juni 2016 auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die sicherheitspolitische Dimension des Klimawandels an.
Klimawandel als Bedrohungsverstärker
Dabei kann man keine direkte Linie ziehen vom Klimawandel zu gewaltsamen Konflikten. Dafür sind die Ursachen, warum ein Konflikt blutig eskaliert, zu komplex. Näher kommt man der Sache, wenn man den Klimawandel als Bedrohungs-Verstärker betrachtet. Das sagt Rob van Riet, der sich beim World Future Council dem Zusammenhang von Klima und Konflikt widmet. Gegenüber der DW führt van Riet weiter aus: "Diese Bedrohungen, die es ohnehin schon gibt - knappe Ressourcen, extreme Armut, Hunger, Terrorismus oder extreme Ideologien - diese Bedrohungen werden durch den Klimawandel verschärft".
Wobei SIPRI´s Dan Smith ausdrücklich warnt, die Folgen des Klimawandels, von Dürre bis Überschwemmungen, seien nicht nur lokal zu spüren. Denn die extremen Wetterphänomene wirkten sich auf die Weltpreise für Nahrung aus - und sorgten durch steigende Preise für Konflikt. "Jedes Mal, wenn die Nahrungspreise auf den Weltmärkten steigen, gibt es Demonstrationen, Ausschreitungen und schließlich andauernde soziale und politische Instabilität in 30 bis 40 Ländern zugleich", hat der SIPRI-Direktor beobachtet.
Gefragt, in welchen Weltregionen sich dieser Zusammenhang besonders klar zeigt, verweist Dan Smith auf Nordafrika und den Nahen Osten: "In Syrien, Ägypten und im Jemen ist der Klimawandel sehr klar erkennbar inmitten des Mosaiks von Konfliktursachen". Auch für Rob van Riet ist Syrien ein Musterbeispiel für einen - auch - durch Klimawandel ausgelösten Konflikt: Die schwerste Dürre seit Menschengedenken habe Mitte der 2000er Jahre Massen von Bauern zur Aufgabe der Landwirtschaft und zur Flucht in überforderte Städte getrieben. "Wasser wurde knapp, Nahrung wurde teuer. Dieses Leid und soziale Chaos hat mit zu den ursprünglichen Unruhen beigetragen, die dann außer Kontrolle geraten sind, und zu dem Konflikt führten, den wir heute sehen", so der Klima-Konflikt-Forscher des World Future Councils.
Große Sorge bereitet Rob van Riet, wie nuklear bewaffnete Staaten wie etwa Pakistan mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Pakistan, so van Riet, sei besonders vom Klimawandel betroffen. Das zeige sich an den jährlich zunehmenden, dramatischen Überflutungen. "Abgesehen davon, dass diese Fluten den Menschen ihre Lebensgrundlage nehmen, haben sie auch einen direkten Einfluss auf die Sicherheit der Nuklearanlagen", betont van Riet im DW-Interview.
Flucht vor der veränderten Umwelt
Offensichtlich ist: Die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels sind dramatisch - und damit eben auch die sozialen. Wie groß der wirtschaftliche Schaden durch den Klimawandel sein wird, untersucht gerade das Berliner Mercator Institut für Klimawandel, MCC. Dazu nimmt Matthias Kalkuhl die Daten von 1400 unterschiedlichen Weltregionen unter die Lupe. Gegenüber der DW erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschlicher Wandel am MCC: "Etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung im Durchschnitt für alle Regionen - und gerade in den tropischen Ländern bis zu 20 Prozent der Wirtschaftsleistung - werden durch die Erderwärmung, durch die sinkende Produktivität im Agrarsektor, aber auch durch die sinkende Arbeitsproduktivität verloren gehen - erhebliche Zahlen!" Schäden durch Katastrophen, Hurrikans, den Meeresspiegelanstieg hat Matthias Kalkuhl in dieser Rechnung noch gar nicht eingepreist.
Wenn ganze Regionen verarmen, kann das in einer globalisierten Welt zu verstärkter Migration führen - und so innerhalb der Grenzen eines Landes die Belastung erhöhen oder international zu Spannungen führen. Kalkuhl erinnert im DW-Gespräch an die Flüchtlingsdebatte in Deutschland, "wo es eigentlich nur über einen relativ kurzen Zeitraum von ein, zwei Jahren einen Migrationsschwung von etwa einer Million Menschen gab, der die Politik hier durcheinander gebracht hat. Deswegen kann man nur schwer vorhersagen, wie Gesellschaften damit umgehen, wenn es Massenwanderungen von Menschen gibt."
Schon Mitte der 1980er Jahre hat die Umweltorganisation der Vereinten Nationen, UNEP, die Definition eines Umweltflüchtlings veröffentlicht. Und bereits 1990 warnte das Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC, Migration könne die vielleicht schlimmste Folge des Klimawandels werden. Benjamin Schraven, vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, DIE, erinnert im DW-Interview allerdings an eine oft vergessene Gruppe: "Ärmere Bevölkerungsgruppen, denen durch den Klimawandel noch die letzten Ressourcen geraubt werden, um überhaupt noch irgendwohin zu emigrieren. Immobilität ist vielleicht sogar die schlimmste Folge des Klimawandels, bevor wir über Klimaflüchtlinge in Anführungszeichen und andere nachdenken", mahnt Schraven.
Was kann getan werden - besonders angesichts der Tatsache, dass es auch im besten Falle Jahrzehnte dauern wird, bis die Effekte von Klimapolitik wirksam werden, sollten sie denn überhaupt umgesetzt werden? SIPRI-Direktor Dan Smith fordert eine Institution unter dem Dach der Vereinten Nationen. Die sollte sich mit den Sicherheitsrisiken befassen und ihre Erkenntnisse an die verschiedenen UN-Organisationen weiter geben - sei es der Weltsicherheitsrat, die Organisation für die Koordination Humanitärer Hilfe, UNOCHA, oder das das Welternährungsprogramm. "Die Arbeit dieser Organisationen wird in den kommenden Jahren auf die eine oder andere Art von Sicherheitsrisiken beeinflusst werden, die mit dem Klimawandel zusammenhängen", analysiert Smith.