Klimawandel auf der Balkanhalbinsel
30. Oktober 2012Albanien steht im weltweiten ökologischen Vergleich gut da. Der “Environmental Performance Index” mit dem die amerikanische Yale Universität jährlich die ökologische Leistung von 163 Staaten bilanziert, führt das kleine europäische Land in der Ausgabe 2012 auf Platz 15. Albanien liegt damit nur knapp hinter Deutschland (11) und weit vor den USA (49).
Diese gute Bilanz, die sich aus verschiedenen Faktoren, wie etwa dem Zustand der Umwelt, Luft- und Wasserqualität, Biodiversität, natürliche Ressourcen und Energie zusammensetzt, zeichnet für Albanien allerdings ein nicht ganz richtiges Bild: Das Land profitiert vom Dornröschenschlaf, den seine Natur hält. Noch. Um das zu verstehen, ist ein Blick in die wechselhafte Geschichte des Landes notwendig, sagt Hermann Plumm. Er leitet die Klimaschutzprojekte in Albanien, die von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt werden.
Seit Mitte der 1960er Jahre begann sich das damals kommunistische Land politisch immer mehr zu isolieren, indem es etwa mit der Sowjetunion oder China brach. Dies schnitt das Land unter anderem von der Versorgung mit fossilen Energieträgern ab. Weil Albanien aber selbst über so gut wie keine eigenen Rohstoffvorkommen zur Energieerzeugung verfügt, blieb nur, die reichlich vorhandenen Wasserquellen zur Stromversorgung zu nutzen. Mehrere große Dämme wurden errichtet, die bis heute nahezu den gesamten Energiebedarf des Landes decken. Weil Wasserkraft zu grüner Energie zählt, bleibt auch das Ranking des Landes oben.
Gesellschaft der Konsumenten und Autofahrer
Doch die Wirklichkeit ist bei Weitem nicht so grün, wie sie scheint. Für die Müllabfuhr beispielsweise muss ein Albaner durchschnittlich ein Fünftel seines Lohns ausgeben. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Abfall auch abgeholt wird, sagt Maria Christina Färber. Die Schweizer Ordensschwester engagiert sich seit Jahren für den Umweltschutz. Der Grund sei nicht nur die fehlende Infrastruktur, sondern möglicherweise auch mafiöse Strukturen, in Zusammenhang mit illegalem Müll aus Italien. Dieser werde anstelle des albanischen Mülls auf den Deponien verklappt. Außerdem sei die Bevölkerung nicht sensibel genug für grüne Themen, klagt Färber. Schuld daran sei die Wegwerfgesellschaft, die mit der politischen Wende in den 1990er Jahren Einzug gehalten habe: „Das Konsumverhalten aus Europa ist hier eingebrochen, die Einwegartikel samt Plastiktüten sind haufenweise im Lande, die Entsorgung fehlt.“
In den Großstädten leiden die Menschen noch dazu unter immer stärkerer Luftverschmutzung. Albanien hat die höchste Mercedes-Dichte der Welt, allerdings ist kaum eines dieser Autos jünger als 20 Jahre. Deren Abgase aus schlecht raffiniertem Diesel machen das Atmen in den Metropolen schwer. Ähnlich problematisch sind veraltete Industrieanlagen, vor allem im Bereich der Stahlproduktion. Das Elbasan Stahl Kombinat, Albaniens größter industrieller Komplex, produziert heute 759.000 Tonnen Stahl im Jahr. 1998 hat die türkische Firma Kürüm Holding Co das Werk übernommen und sich vertraglich verpflichtet, langfristig den kompletten Bedarf des Landes an Stahl zu decken. Modernisiert wurde die Anlage jedoch bisher kaum, obwohl es schon mehrfach Ärger mit verschiedenen Ministerien gab, da Umweltschutzbestimmungen nicht eingehalten wurden.
Wasser – ein begehrtes Gut
Der Fluss Drin durchzieht die Balkanhalbinsel und versorgt Menschen in Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Albanien. Neben Bewässerung und Fischerei wird der Drin auf albanischer Seite auch zur Stromgewinnung an drei Stellen zu großen Seen aufgestaut. Hier schwelt ein Konflikt zwischen den Anrainerstaaten, der sich laut CLIWASEC (Climate Change Impacts on Water and Security), einer Studie im Auftrag der EU-Kommission, in den kommenden Jahren und mit fortschreitendem Klimawandel noch verstärken wird. Denn die Länder der Balkanhalbinsel müssen in Zukunft ganzjährig mit höheren Temperaturen rechnen und das bei deutlich weniger Niederschlag. Auf der anderen Seite droht Hochwasser, vor allem im Frühjahr. „Durch den Klimawandel setzt heute die Eisschmelze in den Bergen früher ein, dann kamen plötzlich starke Regenfälle hinzu und schließlich musste in allen drei Staudämmen gleichzeitig das Wasser abgelassen werden,“ sagt Jan Herzberg. Der Student der Umwelttechnik hat im Auftrag der GIZ am Drin gearbeitet. Die Folgen, erklärt er, seien zuletzt dramatisch gewesen: 14.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, die Überschwemmungen zerstörten Dörfer und Städte, Felder wurden einfach davon gespült.
Jetzt arbeitet die GIZ an einem gemeinsamen Hochwasserfrühwarnsystem für die Länder am Drin. „Um die Hochwasserproblematik in den Griff zu bekommen, haben sich auch Vertreter ehemals verfeindeter Ethnien an einen Tisch gesetzt. Und wir sind auf einem guten Weg zu einem funktionierenden System“, sagt Projektleiter Hermann Plumm. „Das Hauptproblem ist jedoch, dass keine öffentliche Diskussion stattfindet. Für Medien und Politiker in Albanien ist Umwelt- und Klimaschutz noch kaum ein Thema.“
Die junge Umweltbewegung
Hier will Xhemal Mato, einer der ersten Klimaaktivisten Albaniens, ansetzen. Er ist der Geschäftsführer von Eko-Lëvizja, einem Zusammenschluss von nationalen Umweltorganisationen und engagierten Einzelpersonen. "Mit Blick auf die Situation in Albanien und die zu erwartende ökologische Krise muss jemand den Leuten sagen, dass die Zukunft dieser Region extrem hart werden kann,“ fordert Mato. „Bis jetzt unterschätzen die Politiker, was da auf uns zu kommt. Deshalb wurde im Bereich Klimawandelanpassung noch viel zu wenig getan.“ Eko-Lëvizja hat viel vor, sagt Mato weiter. Eine echte Opposition zur augenblicklichen Umweltpolitik soll die Organisation sein, gegen fragwürdige Großprojekte angehen und die industrielle Entwicklung des Landes überwachen. „Aber das Wichtigste ist und bleibt“, so Mato, „dass wir den Leuten zeigen: Es gibt auch andere, umweltfreundliche Wege der Entwicklung.“
Autorin: Wiebke Feuersenger
Redaktion: Klaus Esterluß