Klimawandel in Afghanistan: Drohen neue Konflikte?
7. September 202140 Jahre Krieg haben Afghanistan schwer zugesetzt. Zusätzlich machen dem Land die Auswirkungen des Klimawandels immer mehr zu schaffen. Es wird heißer und trockener. Mit der Machtübernahme durch die Taliban kommt eine große politische Unsicherheit hinzu.
"Das Land leidet wie kaum ein anderes unter dem Klimawandel und seinen Folgen. Ohne Unterstützung droht hier eine menschliche Katastrophe", sagt Basir Feda, Leiter des Afghanistan-Referats der Berliner Berghof Foundation, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Konfliktbewältigung und Friedensförderung einsetzt.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist es in Afghanistan im Durchschnitt um 1,8 Grad Celsius (3,24 Fahrenheit) wärmer geworden. Der globale Temperaturanstieg lag im gleichen Zeitraum im Durchschnitt bei 0,82 Grad Celsius. Dürreperioden treten immer häufiger auf. Experten gehen davon aus, dass es künftig jedes Jahr Phasen extremer Trockenheit geben wird.
Zwischen 2017 und 2018 kam es wegen der Dürre zu mehr Binnenflüchtlingen als durch die Konflikte in Afghanistan. Das haben die Vereinten Nationen ermittelt. Zurzeit befindet sich das Land wieder in einer langanhaltenden Trockenperiode. Millionen hungernde Menschen könnten schon bald die Folge sein, heißt es beim Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.
200 Millionen Dollar (170 Mio. Euro) seien im Jahr nötig, um die Arbeit in Afghanistan fortzuführen, heißt es weiter. Trotz der Machtübernahme durch die Taliban dürfen Mitarbeiter aus dem Programm weiter im Land bleiben und humanitäre Unterstützung leisten.
Vor allem müssen dringend Lebensmittel in die Bergregionen des Landes gebracht werden, bevor diese Gebiete durch den Winter komplett von der Versorgung abgeschnitten werden, sagt Oli Brown, Mitglied der politischen Denkfabrik Chatham House aus London, gegenüber der DW.
"Kurzfristig besteht die große Herausforderung darin, die Menschen in Afghanistan mit Nahrungsmitteln zu versorgen", so Brown. Fast die Hälfte der 30 Millionen Einwohner des Landes lebt unterhalb der Armutsgrenze. Ein Drittel der Bevölkerung leidet unter schwerer Ernährungsunsicherheit.
"Ob die internationale Gemeinschaft helfen kann, hängt nun davon ab, inwieweit die Taliban das zulassen. Werden sie Rahmenbedingungen ermöglichen, unter denen die Bevölkerung versorgt werden kann?"
Klimawandel, Armut und Konflikte
Um diese Bedingungen zu schaffen, müssen sich die Taliban jedoch langfristig mit dem Klimawandel auseinandersetzen, so Brown.
"Schaut man sich die Prognosen für die Zukunft an, dann wird klar, dass der Klimawandel künftig jegliches Handeln vor Ort stark einschränken wird. (...) Eine Taliban-Regierung wird sich damit auseinandersetzen müssen, wenn sie ein friedlicheres und sichereres Afghanistan schaffen will, das seine Bevölkerung auch ernähren kann", sagt Brown weiter.
Selbst wenn sich die optimistischeren Klima-Szenarien der Vereinten Nationen einstellen sollten, wird sich Afghanistan bis zum Jahr 2050 wahrscheinlich um weitere 1,5 Grad Celsius erwärmen. Der Schnee in den Bergen, der bislang noch die Flüsse speist, würde bei einer solchen Erwärmung weiter abnehmen. Wasser würde so noch knapper werden.
Genauso wie Dürren immer wahrscheinlicher werden, werden auch die extremen Regenfälle, die innerhalb kurzer Zeit niedergehen, häufiger auftreten. Das wiederum erhöht in dem gebirgigen Land die Gefahr tödlicher Erdrutsche. Durch den jahrlangen Krieg war Afghanistan nicht in der Lage, hier Vorsorge für den Schutz seiner Bevölkerung zu treffen.
"Krieg ist Rückschritt", sagt Brown. Im Klartext haben 40 Jahre Konflikt dafür gesorgt, dass es in dieser Zeit kaum Investitionen in Dämme oder Bewässerungssysteme gegeben hat.
"Karez", so heißen die unterirdischen alten Bewässerungssysteme in Afghanistan, die Wasser einst aus den Bergen transportierten und so die Felder der Landwirte versorgten. Da das Wasser unter Tage floss, konnte Verdunstung vermieden werden. Nur noch sehr wenige der Karez werden von den Dörfern noch instandgehalten und sind bis heute funktionstüchtig. Die meisten wurden zerstört oder sind wegen des jahrzehntelangen Krieges verfallen.
Mehr als 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Und da so viele Menschen von Ackerbau und Viehzucht abhängig sind, sind sie auch besonders anfällig für Klimaschocks, erklärt Brown. Das wiederum erhöht das Armutsrisiko und die Wahrscheinlichkeit von Vertreibung, heißt es bei Action Aid, einer Nichtregierungsorganisation aus Südafrika, die sich weltweit für die Bekämpfung von Armut und Ungerechtigkeit einsetzt.
In Afghanistan gibt es bereits fast vier Millionen Binnenflüchtlinge. Und eine kürzlich von Action Aid durchgeführte Untersuchung zum Thema Klimawandel und Gender ergab, dass bis 2050 weitere fünf Millionen Menschen aufgrund von Klimakatastrophen zur Migration gezwungen sein könnten. Ein Szenario, mit dem die NGO selbst dann rechnet, wenn die Regierungen weltweit Maßnahmen zur deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen ergreifen.
Wegen des Klimawandels werden die Konflikte zunehmen, vor allem um die immer knapper werdenden Ressourcen Land und Wasser. Immer mehr Landwirte geben inzwischen den Anbau von Nahrungsmitteln wie Weizen auf. Stattdessen stellen sie ihre Flächen um auf dürreresistenten Mohn – Rohstoff für den florierenden Opiumhandel in Afghanistan. Das Land ist weltweit der größte Opiumproduzent. Schätzungen nach soll das gesamte Geschäft in Afghanistan allein 2017 zwischen 4,1 und 6,6 Milliarden Dollar wert gewesen sein. Die Einnahmen daraus fließen zu weiten Teilen in die Finanzierung der Taliban oder anderer bewaffneter Gruppen.
"Die eigentliche Frage ist, wie geht man mit der Armut um, die durch den Klimawandel entsteht?", sagt Basir Feda von der Berghof Foundation. "Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Konflikten und Armut. Der Klimawandel kann hier wie ein Katalysator wirken, und zwar ein ziemlich bedeutender."
Zusammenarbeit mit den Taliban?
Abdul Qahar Balkhi, Mitglied der Kulturkommission der Taliban, erklärte gegenüber dem US-Magazin Newsweek, die Taliban strebten die weltweite Anerkennung ihres so genannten Islamischen Emirats an. Den Klimawandel bezeichnete er zugleich als eine Herausforderung, die nur durch gemeinsame Anstrengungen aller bewältigt werden könne.
Bislang sind nur wenige Länder bereit, mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Für die internationale Gemeinschaft stellt sich die Frage, wie umgehen mit dieser Gruppe, die gerade die Macht in Afghanistan an sich genommen hat.
"Die Taliban können das Land nicht ohne Unterstützung führen und das wissen sie", sagt Jost Pachaly, Referatsleiter Asien der Heinrich-Böll-Stiftung. Die grüne politische Stiftung mit Sitz in Deutschland sieht ihre Arbeitsschwerpunkte unter anderem in Demokratie und Menschenrechten, genauso wie in Ökologie und Nachhaltigkeit.
"Für die internationale Gemeinschaft ist die Frage, wie sie mit der Situation umgehen soll, heikel: wie soll man einerseits die Taliban nicht unterstützen zugleich aber nicht das afghanische Volk leiden lassen. (...) Es ist eine humanitäre Katastrophe."
Für die Frauen ist die Situation besonders schlimm. Unter der Herrschaft der Taliban bleiben ihnen kaum eigene Rechte. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels wird ihre Zukunft noch unsicherer, weltweit. Denn sie sind in der Regel diejenigen in den Familien, die Wasser holen oder das Essen zubereiten.
In Afghanistan, vor allem in den ländlichen Gebieten, trifft es die Frauen besonders schwer. Denn von ihnen wird erwartet, dass sie dabei möglichst im oder nah am Haus bleiben. Ihr gesamtes soziales und wirtschaftliches Leben findet dort statt. Finanziell sind sie von ihren Ehemännern abhängig, sagt Basir Feda.
"Dies bringt Frauen in eine weitaus fragilere Situation. Denn sie kümmern sich nicht nur um die Ernährung der Familie, sondern tun dies zugleich in einem Umfeld, in dem ihre Möglichkeiten stark eingeschränkt sind."
Einige Organisationen wie die Weltbank haben ihr Engagement in Afghanistan ausgesetzt. Sie wollen abwarten, welche Schritte die Taliban als nächstes unternehmen. Internationale Hilfs- und humanitäre Organisationen wollen hingegen bleiben und ihrer Arbeit im Land fortführen.
Feda sagt, nun liege es bei den Taliban, ihr Versprechen einzuhalten. Das Versprechen, eine Regierung zu bilden, die alle Afghanen akzeptieren können. Dann könne das Land endlich an Frieden und auch an seiner Klimaresilienz arbeiten. "Ich kann nicht glauben, dass in Afghanistan alles verloren sein soll."