Klinsmann: "Besser, ich verändere mich"
28. Januar 2015DW: Als Sie das erste Mal nach Amerika kamen, was war Ihr Eindruck, wo der Fußball steht?
Jürgen Klinsmann: Also, ich glaube, ich war 19, als ich das erste Mal mit den Stuttgarter Kickers hierher kam. Das war mehr so ein Urlaubstrip nach der Saison. Wir haben zwar auch Freundschaftsspiele gemacht, aber der Fußball war eigentlich komplett unsichtbar. Er wurde irgendwo gespielt, aber es ging hier eigentlich nur um American Football, Baseball, Basketball und Eishockey. Ich bin dann im Urlaub immer wieder in die USA zurück gekommen und irgendwann später habe ich eine amerikanische Frau kennengelernt. Jetzt lebe ich schon seit über 17 Jahren hier. Zu beobachten, wo der Fußball vor vielleicht 30 Jahren war und wo er heute ist, ist einfach ein kleines Märchen.
Für die USA war die WM 2014 ein Wahnsinn: knapp 25 Millionen beim Spiel gegen Portugal vor dem Fernseher, der US-Präsident feuert das Team an. Was war Ihr größter Moment?
Ich glaube, das Wichtigste bei dieser WM war, dass die Amerikaner gesehen haben, wie emotional Fußball sein kann, wie er alle Leute verbinden kann. Und wenn sie das bei einem Public Viewing oder in einer Sportsbar oder irgendwo miterleben, wo sie alle miteinander sind, oder im Stadion, wo sie es miteinander feiern, oder diese Aufs und Abs dann erleben - das verbindet die Menschen. Ich glaube 2014 war dieser emotionale Durchbruch, bei dem die amerikanische Bevölkerung erkannt hat, dass Fußball ein richtig geiles Spiel ist. Diese Identifikation, in dem Ausmaß, hat es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Ich glaube, dass es richtig war, nach der WM zu sagen: "Der Fußball hat es geschafft, er ist angekommen in den USA."
Aber das Schöne ist auch: Er ist nach wie vor sehr entwicklungsfähig. Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wir hatten die größte Anzahl an Fans in Brasilien, abgesehen von den Brasilianern, und wir waren überall präsent. Wir hatten halbe Heimspiele, egal wo wir gespielt haben. Jetzt brauchen wir natürlich noch einige Jahre, um das weiter zu entwickeln und hoffentlich eines Tages mal bei einer WM unter die letzten Vier zu kommen. Das ist unser großes Ziel.
WM 2006: "Gesunder, positiver Patriotismus"
Machen wir einen Sprung zurück: 2006. Jürgen Klopp sagte uns einmal: "Das Tolle am 'Sommermärchen' war, dass wir uns in unser eigenes Land verliebt haben." Haben sie vorher gewusst, was da eigentlich passiert?
Also, in diesem Ausmaß haben wir das sicherlich nicht gewusst, aber unser Ziel war von Anfang an, die Chance zu nutzen, weltweit ein neues Deutschlandbild zu zeigen. Ich glaube, danach hat sich auch dieser Patriotismus entwickelt, dieser gesunde, positive Patriotismus, bei dem sich jeder einfach wohlgefühlt hat, zu sagen: "Ich fühle mich richtig wohl, Deutscher zu sein." Als jemand, der eigentlich seit 1998 im Ausland lebt oder zuvor auch schon in seiner Karriere meist im Ausland war, wurde ich so oft damit von Leuten konfrontiert, die dieses "Sommermärchen" als Ausländer bei uns erlebt haben. Sie haben nur noch Komplimente gegeben für ein weltoffenes, internationales und mehrsprachiges Deutschland. Ich habe dann gesagt: "Egal, ob du jetzt Dritter oder Erster geworden bist - und ich wäre gerne Erster geworden - diese WM hat viel mehr signalisiert als nur den Sport. Ich denke, dass diese Triebfeder Fußball, oder in dem Moment der Sport, gigantische Möglichkeiten hat, Leute emotional zu verbinden und dann ein ganz neues Bild von dir zu geben. Seitdem haben wir, glaube ich, auch weltweit ein sehr positives Ansehen.
Woher nehmen sie diese Lockerheit, so zu strahlen und den Leuten einfach ein anderes Deutschlandbild zu geben?
Ich gehe ja nicht durch den Alltag und denke daran, ein neues Deutschlandbild abzugeben. Nein, ich bin superfroh, Deutscher zu sein und fühle mich wohl in meiner Haut. Aber letztendlich glaube ich, dass wir schon über einen längeren Zeitraum hinweg einfach gelernt haben, die Leute so zu nehmen, wie sie sind. Und auch ins Ausland zu gehen und unsere Charakteristiken offen zu legen, aber auch in einer Art und Weise, dass wir, egal ob ich jetzt in Italien, Frankreich, England oder in den USA bin, den Menschen dort das Gefühl geben: Ich möchte einer von euch sein.
Man muss anpassungsfähig sein, man muss offen sein, man muss tolerant sein. Ich glaube, das ist einfach etwas, was man über Jahre lernt, wenn man im Ausland ist. Man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind und muss Toleranz aufbauen. Das hilft dir nicht nur im Umgang mit Menschen, die dir vielleicht neu sind, sondern es hilft dir auch im Umgang mit dir selbst. Ich hatte meine Lehrjahre sicherlich im Ausland, wo ich immer gedacht habe: Es muss jetzt so oder so sein. Bis ich dann irgendwann kapiert habe: Nein, so ist es halt nicht! Die Menschen dort sind anders. Besser verändere ich selbst mich, weil die Millionen anderer Menschen sich nicht wegen mir verändern werden.
Mir geht es deswegen richtig gut hier, weil ich gelernt habe, mich anzupassen, ohne dabei meine Werte, die von Deutschland her stammen, verloren zu haben. Und dann ist es letztendlich eine "win-win"-Situation: Ich habe dann mehr die kalifornische Lockerheit. Das hat auch ein bisschen mit dem Klima zu tun. Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass ich meine Eigenschaften, die mich von klein auf angetrieben haben und die in meinen Wurzeln als Deutscher sind, nach wie vor in mir habe. Hoffentlich kann ich dem Fußball hier helfen, noch eine Stufe höher zu kommen.
"Die USA sind schon ein Fußballland"
Sie haben ja auch in Deutschland viel bewegt. Am Anfang gab es Kritik an Fitness-Trainern und Mentalcoaches, inzwischen hat das jeder, auch der FC Bayern. Sagt man im Nachhinein: Da könnte mal einer danke sagen?
Nein, ich bin einfach nur froh, dass Dinge weiterentwickelt werden, egal in welchem Umfeld, in welchem Club oder in der Nationalmannschaft. Was ich einfach gerne sehe, ist Entwicklung. Ob jetzt mit dem DFB damals oder egal wo, es hat eine Entwicklung stattgefunden. Die Entwicklung findet jetzt gerade bei uns in den USA statt, eine sehr spannende Entwicklung. Teil dieser Entwicklung sein zu dürfen, ist für mich ein Privileg. Daher bin ich einfach superfroh, und ich versuche dann auch, den Tag zu leben und nicht nur darüber nachzudenken, was richtig und was falsch war. Als Mensch hast du die Wunschvorstellung, dich permanent weiter zu entwickeln. Und das spüre ich einfach bei mir, ob das in Deutschland oder in den USA war, ob das als Spieler war in Frankreich, Italien oder sonst wo. Es muss irgendwie immer nach vorne gehen. Deswegen freue ich mich überall, wenn es nach vorne geht. Und wenn es natürlich jetzt wie beim Jogi mit dem Abschluss eines WM-Titels verbunden ist, dann ist das natürlich das Nonplusultra, und da freut man sich mit.
Wann sind die USA ein Fußballland?
Ich glaube, die USA sind schon ein Fußballland. Der Fußball wird hier millionenfach gespielt. Er ist noch nicht so erfolgreich wie in Deutschland, Spanien oder Brasilien, aber er teilt sich seine Anerkennung und die Aufmerksamkeit mit den ganz großen amerikanischen Sportarten. Und er wird weiter an sie heranwachsen. Jetzt geht es einfach nur darum, die nächsten Stufen draufzusetzen und sich international immer mehr Respekt zu erarbeiten.
Das Interview wurde am Rande des Trainingslagers des US-Teams in Carson, Kalifornien geführt. Jürgen Klinsmann wurde gerade als einer von drei Trainern für sein Engagement im Ausland für den Deutschen Fußballbotschafter 2015 nominiert, der am 2. Juni in Berlin vergeben wird. Unter www.fussballbotschafter.de finden Sie mehr Infos und ein Interview mit Klinsmann zu seinem sozialen Engagement.
Das Interview führte Matthias Frickel.