Nahost und Nordafrika: Antikes Erbe in Gefahr
15. Oktober 2022Einst war sie die größte Stadt der Welt: Babylon, der Nachwelt vor allem durch die hängenden Gärten und vielleicht mehr noch den sagenumwobenen Turm von Babel bekannt. Heute aber befinden sich die Überreste der mehr als 4000 Jahre alten, im südlichen Irak gelegenen Stadt im Zustand offenen Verfalls: Die einst rekonstruierten Putzfassaden bröckeln, einige der ehedem bei Touristen besonders beliebten Gebäude sind wegen Einsturzgefahr nicht mehr zu betreten.
"Über Jahre drang Grundwasser in die Gebäude ein. Zusammen mit einigen sehr trockenen Sommern führte dies dazu, dass einige der Gebäude einstürzten", sagt Eleanor Robson, Professorin für Geschichte des Alten Orients am University College London (UCL). Die Forscherin hat die Kulturstätten im Irak in den vergangenen Jahren mehrmals besucht. "Im vergangenen Mai habe ich einen Tag mit dem Team des World Monuments Fund dort verbracht. Es war erschütternd", berichtet sie. Der Ort breche schlichtweg zusammen.
Feuer, Sandstürme, Überschwemmungen
Die alte Stadt, seit 2019 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, ist nicht die einzige Stätte in der Region, die die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommt.
In Ägypten nehmen die Steine historischer Bauwerke wie etwa der Pyramiden eine andere Farbe an, aufgrund der hohen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit bekommen ihre Wände Risse. Waldbrände, Staub- und Sandstürme, Luftverschmutzung, ein erhöhter Salzgehalt im Boden sowie der Anstieg des Meeresspiegels bedrohen auch die anderen historischen Stätten des Landes.
Besorgt sind Denkmalschützer auch in Jordanien: Sie fürchten um Teile der tausende Jahre alten Felsenstadt Petra. Diese sind durch zunehmende Erdrutsche unmittelbar gefährdet. Auch im kriegsgeplagten Jemen setzt das Klima der historischen Substanz zu: Im Osten des Landes beschädigen heftige Regenfälle die berühmten Lehmziegelbauten im Wadi Hadramaut. Immer häufiger auftretende Sturzfluten unterspülen zudem die traditionellen Lehmziegelbauten.
In Libyen wiederum ist die alte Oasenstadt Ghadames bedroht. Der Grund: Die Hauptwasserquelle des Ortes ist versiegt. Die einheimische Vegetation ist abgestorben, die Bewohner haben die Stadt verlassen. Doch auch Kulturstätten an der Küste sind gefährdet: Wie in der gesamten Region drohen ihnen Schäden durch den steigenden Meeresspiegel und Überschwemmungen.
Düstere Zukunft prognostiziert
Erst kürzlich veröffentlichte ein Team von Forschern des Max-Planck-Instituts für Chemie in Deutschland und des Cyprus Institute eine Studie, die der Region eine düstere Zukunft prognostiziert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich der Nahe Osten und die östliche Mittelmeerregion fast zweimal schneller erwärmen werden als der globale Durchschnitt - und ebenso auch schneller als andere bewohnte Weltgegenden. Dies wirkt sich unmittelbar auch auf zahlreiche Schlösser, Festungen, Pyramiden und andere antike Stätten der Region aus.
Der International Council on Monuments and Sites (ICOMOS) - zuständig für Denkmalpflege weltweit - schlägt schon länger Alarm: Der Klimawandel sei zu einer der bedeutendsten und am schnellsten wachsenden Bedrohungen für die Menschen und ihr kulturelles Erbe weltweit geworden, so die Organisation. Ähnlich sieht es auch Nikolas Bakirtzis, außerordentlicher Professor für Archäologie und kulturelles Erbe am Cyprus Institute. "Es besteht kein Zweifel, dass das kulturelle Erbe des Nahen Ostens stärker gefährdet ist als das in Europa", so der Forscher.
Zum einen seien die Kulturerbe-Stätten der Region aufgrund der schnelleren und intensiveren Erwärmung größeren Gefahren ausgesetzt, als die in anderen Weltgegenden. Zum anderen hätten viele Länder in der Region derzeit dringendere Sorgen als den Erhalt ihres kulturellen Erbes, etwa wirtschaftliche oder politische Krisen bis hin zu Kriegen.
"Alle sind sich der Herausforderung bewusst, aber nicht alle können es sich leisten, dem Erhalt Priorität einzuräumen", sagt er. Der Klimawandel wirke sich natürlich auch auf europäische Kulturerbe-Stätten aus, so Bakirtzis weiter. Doch Europa sei für diese Herausforderung weitaus besser gewappnet. Einige Länder wie etwa Ägypten, Jordanien und die Golfstaaten haben inzwischen zwar Fortschritte zum Schutz ihrer Kulturerbe-Stätten erzielt. Anderen Ländern hingegen fehlen dazu die Möglichkeiten.
Zu wenig Geld für Denkmalschutz
Oft gebe es zwar staatliche Organisationen, die für die Verwaltung von Kulturerbe-Stätten zuständig sind, sagt Altertums-Forscherin Eleanor Robson vom University College London. Als Beispiel verweist sie auf die staatliche Behörde für Altertümer und Kulturerbe im Irak. "Allerdings ist diese Behörde aufgrund der Sanktionen und der Auswirkungen der Turbulenzen der vergangenen 20 Jahre hoffnungslos unterfinanziert und nicht einmal im Ansatz hinreichend ausgestattet. Gleichzeitig wächst der Druck, die Stätten zu pflegen. Bleiben entsprechende Maßnahmen aus, wird die Instandhaltung später erheblich teurer."
"Das Bewusstsein für diese Problematik - die Notwendigkeit des Schutzes von Kulturerbe-Stätten vor dem Klimawandel - steckt vielfach noch in den Kinderschuhen", sagt Ibrahem Badr, Professor an der Fakultät für Archäologie an der Misr-University for Technology and Science in Kairo. "Es wurden zwar einige Studien durchgeführt, doch die haben noch zu keinen nennenswerten Maßnahmen vor Ort geführt. Leider sind die meisten Länder im Nahen Osten nicht bereit, sich mit diesem Problem zu befassen. Das wirkt sich negativ auf die archäologischen Stätten aus."
Menschlicher Einsatz nötig
Zudem weisen die Experten darauf hin, dass der Klimawandel zunehmend negative Auswirkungen auf die Gemeinschaften und Menschen, die im Umfeld der Kulturerbe-Stätten leben. "Es geht nicht nur um einen antiken Tempel oder eine archäologische Stätte", so Bakirtzis. "Es geht auch um lokale Gemeinschaften, die die Nutzung dieser Stätten überhaupt erst möglich machen und denen sie damit einen Teil ihrer Bedeutung verdanken."
Der Klimawandel werde die Menschen zur Abwanderung veranlassen, wenn ihre Lebensbedingungen unhaltbar werden, befürchtet Bakirtzis. Wenn sich aber niemand um die Stätten kümmere, werde deren kulturelle Bedeutung allmählich schwinden.
Als Beispiel verweist er auf einige der frühchristlichen Stätten im Irak. Die bis vor kurzem dort lebenden christlichen Gemeinschaften hätten diese aufgrund des Krieges, der Angriffe durch die Terrororganisation "Islamischer Staat" und veränderter Umweltbedingungen verlassen. "Jetzt gibt es dort niemanden mehr, der diese Stätten besucht oder sich um sie kümmert. So verwandeln sich diese Orte zunehmend in Ruinen", so der in Zypern lebende Wissenschaftler.
Drohende Plünderungen
Doch menschliche Präsenz in Nähe antiker Stätten kann auch negative Folgen haben: Zur Linderung ihrer Not oder Aufbesserung ihrer persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse suchen manche Einheimische schon jetzt dort nach altertümlichen Kunstgegenständen, die sie verkaufen oder schmuggeln können.
"Wenn die Menschen wegen der Wüstenbildung und der hohen Temperaturen nicht mehr von ihrem Land leben können, werden wir wahrscheinlich ein Wiederaufleben der archäologischen Plünderungen erleben", befürchtet Robson.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.