Klopp gegen Tuchel: Herz schlägt Kopf
19. September 2018Als Jürgen Klopp 45 Minuten vor dem Anstoß seine Liverpooler zum Aufwärmen aufs Spielfeld begleitet, klopft er sich zweimal auf die Brust. Versteckt hinter der Champions-League-Beschmückung des Stadions, ist die Geste nicht für die Kameras gedacht. Vielmehr ist es ein Versuch, sich selbst Mut zu machen.
Es funktioniert. Klopps Team beginnt quirlig. Die Spieler gehen in jeden Zweikampf, machen den Ball schnell und dominieren ihre französischen Gegner. Schon früh ballt der Trainer die Faust, als James Milner nach einem harten Einsteigen gegen Neymar einen Einwurf herausholt. Eine Siegerfaust wegen eines Einwurfs!
Die Heimmannschaft bleibt das dominierende Team, und Klopp gerät immer mehr in Schwung: Wild wirbelt er mit seinen Armen herum, wie ein aus dem Takt geratener Industrieroboter.
Verschränkte Arme hier, Siegerfaust da
"Was die Jungs aus dem Matchplan gemacht haben, war außergewöhnlich, wenn nicht sogar herausragend", erklärt Klopp hinterher seine fast schon übertriebene Gestik in der frühen Phase des Spiels. "Alles sah viel selbstbewusster aus, viel abgestimmter als zuletzt."
Eine Coachingzone weiter steht Klopps Gegner, Thomas Tuchel. Landsmann und Ex-Nachfolger bei den Bundesligisten Borussia Dortmund und FSV Mainz 05. Mit verschränkten Armen, den Blick in die Ferne gerichtet.
Kaugummi kauend steht Tuchel an der Seitenlinie und reckt den Hals Richtung Tor seines PSG. Seine Nervosität hat ihren Grund: Zu der Zeit erzielt Daniel Sturridge per Kopfball das 1:0 für Liverpool (30. Minute), sechs Minuten später verwandelt James Milner einen Foulelfmeter zum 2:0 (36.). Währenddessen ballt Klopp wiederholt die Siegerfaust.
Nach dem Zwei-Tore-Rückstand erhebt sich Tuchel erstmals von der Trainerbank. Mürrisch, mit den Händen in den Taschen, steht er nun am Spielfeldrand - bis Thomas Meunier zum 1:2 (40.) aus Sicht von PSG verkürzen kann. Als der Halbzeitpfiff ertönt, überwältigt Tuchel wieder der Frust. Wütend diskutiert er mit seinem Trainerstab.
Die Qualität eines Trainers zeigt sich natürlich nicht daran, wie er sich an der Seitenlinie verhält. Nichtsdestotrotz spürt man bei Klopp, vielleicht mehr als bei jedem anderen Trainer der Welt, wie sein emotionales Verhalten an der Seitenlinie seine Mannschaft beeinflusst. Vor allem in der ersten Stunde des Spiels ist Klopp voll unbändiger Energie und behält trotzdem bei seinen Entscheidungen einen kühlen Kopf.
Wie ein Rockstar
Der Dauerlärm von den Rängen, für den das Stadion an der Anfield Road in Liverpool berühmt ist, sollte eigentlich dafür sorgen, dass die Spieler die Rufe Klopps nicht hören können, doch irgendwie dringen seine Botschaften laut und deutlich durch. Während Klopp sich am wohlsten fühlt, wenn er den hyperdynamischen Rockstar spielt, der nicht nur die Menge mitreißt, sondern auch die Leute direkt um ihn herum, scheint es Tuchel eher unangenehm zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Hin und wieder zeigt seine Mannschaft ihre Qualität bei blitzartigen Vorstößen, doch meist lässt sie den intensiven und kontrollierten Ballbesitz-Fußball vermissen, den der 45-jährige Trainer bis zum Ende einfordert, vor allem, als bei Liverpool die Kräfte nachlassen. Immerhin gelingt Kylian Mbappe nach einem schnellen Angriff der Ausgleich zum 2:2 (83.).
Jahrelange Arbeit zahlt sich aus
Selbst Klopp muss sich vor Schreck einmal kurz hinsetzen. Am Ende aber springt er doch wieder auf, um zu jubeln. Beim Auswechseln beweist er dann eine glückliche Hand. Ex-Bundesligaprofi Roberto Firmino, den Klopp in der 72. Minute für den Torschützen Sturridge gebracht hat, erzielt in der Nachspielzeit den Siegtreffer zum 3:2 (90.+2) für Liverpool.
Wieder einmal wird Anfield zu Klopps Bühne und er darf die Ovationen des Publikums entgegennehmen. Nach drei Jahren auf dem Trainerposten ist Liverpool endgültig sein Team geworden. Das Gleiche lässt sich über Tuchel nach wenigen Wochen in Paris noch nicht sagen.
"Jürgen Klopp arbeitet seit Jahren mit seiner Mannschaft. Liverpool ist extrem stark im Pressing und macht es für den Gegner schwer, in Ballbesitz zu bleiben", bilanziert Tuchel in der Konferenz nach dem Spiel. "Vieles, was Liverpool macht, kommt selbstverständlich daher, wie automatisch."
Und Klopp? Auf dem Weg zur Kabine klopft er sich mit einem breiten Lächeln im Gesicht sechsmal auf die Brust. Dieses Mal ist es nicht nur eine Geste für ihn selbst.