Erste Runde der Koalitionsgespräche
23. Oktober 2013Einen Tag nach der Konstituierung des 18. Deutschen Bundestages haben CDU/CSU und SPD in Berlin Verhandlungen über eine Koalitionsregierung begonnen. Der Auftakt fand in der nach dem ersten deutschen Kanzler, Konrad Adenauer, benannten CDU-Zentrale statt. In großer Runde (75 Personen) ging es zunächst um organisatorische Fragen. Dabei sind vor allem die Generalsekretäre gefragt: Hermann Gröhe (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD). Sie bilden die Steuerungsgruppe für zwölf Arbeitsgruppen und vier Untergruppen, die am Donnerstag ihre Arbeit aufnehmen sollen.
CDU-Generalsekretär Gröhe sprach nach dem ersten Treffen von einem "guten Start". Man wolle die Voraussetzungen schaffen für eine "erfolgreiche, stabile Regierung". Es gehe darum, "faire Kompromisse" zu finden. Gröhes SPD-Amtskollegin Nahles war ebenfalls zufrieden. Es sei viel zu tun. "Und wir packen das jetzt gemeinsam an."
Wenige Stunden vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen hatten beide politischen Lager bei inhaltlichen Fragen den Ton noch verschärft. Die SPD sieht insbesondere beim Thema Finanzen weiterhin erheblichen Klärungsbedarf. Im Wahlkampf warb sie unter anderem für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 49 Prozent. "Das müssen wir auf den Tisch bringen", betonte Nahles im ARD-Fernsehen. Die CSU lehnte dieses Ansinnen erneut ab. Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag, sprach sich ebenfalls in der ARD gegen eine höhere Neuverschuldung aus.
Streitthema gesetzlicher Mindestlohn
Noch bevor sich die Unterhändler der Koalitionsverhandlungen mit Detailfragen beschäftigen, meldeten zahlreiche Interessengruppen ihre Wünsche an. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wiederholte seine alte Forderung, nach dem Vorbild vieler Industriestaaten einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von - mindestens - 8,50 Euro einzuführen. "Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, dass sie eine neue Ordnung der Arbeit durchsetzt", sagte die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack der Tagezeitung „Die Welt“. Ähnlich äußerte sich gegenüber den „Ruhr Nachrichten“ die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher: "Wir brauchen einen Mindestlohn, denn mit Hungerlöhnen erwirbt man keine ausreichenden Rentenansprüche."
Wirtschaftsverbände lehnen die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland weiterhin ab. Sie sehen Hundertausende Arbeitsplätze gefährdet. Rückendeckung bekamen sie vom geschäftsführenden Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Der Freidemokrat, dessen Partei nicht mehr im Bundestag vertreten ist, leitet das Ressort noch bis zur Bildung einer neuen Regierung. Am Mittwoch warnte er bei der Vorstellung der aktuellen Konjunktur-Prognose (1,7 Prozent Wachstum im kommenden Jahr) vor einem Mindestlohn. Die großen Verlierer würden vor allen Dingen Jugendliche und die Menschen im strukturschwachen Osten Deutschlands. Dort sind die Einkommen im Schnitt wesentlich niedriger. "Die Lohnfindung sollte weiterhin Aufgabe der Tarifpartner sein", empfahl der scheidende Bundeswirtschaftsminister.
Sorgen um Erfolg der Energie-Wende
An einem Strang ziehen Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter mit Blick auf die Energie-Wende nach dem Ausstieg Deutschlands aus der Atom-Energie. Beide Seiten befürchten wegen gesetzlicher Vorgaben und des lang andauernden politischen Streits ein Scheitern. Schon jetzt gebe es einen Investitionsstau, kritisieren der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Arbeitgeberverband (BDA) und mehrere Einzelgewerkschaften in einer gemeinsamen Erklärung.
Auch der in Bonn ansässige Dachverband der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (VENRO) hat sich mit Forderungen zur Wort gemeldet. Dieser Politikbereich müsse deutlich aufgewertet werden. "Eine ambitionierte Entwicklungspolitik ist eine Investition in globale Stabilität, Sicherheit und Gerechtigkeit", erklärte VENRO-Chef Ulrich Post. Das Ministerium müsse eigenständig bleiben und zu einem Ressort für globale Strukturfragen ausgebaut werden, heißt es.
Nächste Woche geht es um Europa
Die Erwartungen an Union und SPD sind hoch, die Forderungskataloge umfangreich. Entsprechend sorgfältig sollen die Koalitionsverhandlungen nach dem erklärten Willen aller Teilnehmer geführt werden. Nach dem kurzen Auftakttreffen will sich die große Runde am 30. Oktober wiedertreffen, dann im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale. Thema soll dann Europa sein. Damit signalisieren die potenziellen Koalitionspartner, wie ernst sie die seit Jahren schwelende Wirtschafts- und Finanzkrise in der Europäische Union nehmen – trotz oder wegen der ökonomisch stabilen Lage in Deutschland.