Knutschen für das Volk
16. Juli 2018Emanuel Macron hatte keine Chance. Überwältigt von ihren Emotionen nach dem sehr beeindruckenden Spiel der kroatischen Mannschaft, umarmte die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic den französischen Staatspräsidenten. Von staatsfraulicher Distanz keine Spur. Er, ganz Gentleman, ließ sie gewähren. Später wird sie das wiederholen, unten auf dem Platz, wenn beide, komplett durchnässt vom Regen, die Mannschaften begrüßen.
Sie wird es aber nicht dabei belassen. Beseelt vom gefühlten Erfolg nach dem beherzten Spiel ihrer Kroaten umarmt und küsst sie nahezu jeden der in Reichweite ist. Erst die Schiedsrichter, dann die 22 kroatischen Spieler samt Trainer - und zum Schluss sogar die ganze französische Mannschaft. Beim Abherzen des besten Spielers des Turniers, Luka Modirc liefen ihr dann endgültig die Tränen.
Eine Königin der Herzlichkeit...
In Sekundenschnelle wurde die kroatische Präsidentin der Hit in den sozialen Medien - weltweit. Im rot-weißen Trikot statt gediegener Garderobe avancierte sie zum Medienstar. Die kroatische Präsidentin lehrt uns, dass man "offen und bescheiden sein soll", ist zu lesen, oder sie sei "reine Emotion und Wärme." Und ein Twitter-User versteigt sich sogar zu der Aussage: "Die zwei größten Entdeckungen der WM waren Kylian Mbappe und Kolinda Grabar-Kitarovic. Wegen dieser Tore und dieser Umarmungen wurde diese Fußball-WM zum inspirativsten Ereignis aller Zeiten."
Sogar die serbischen Medien - üblicherweise eher kritisch und ablehnend, wenn es um das Nachbarland Kroatien geht - schrieben bewundernd, dass die kroatische Präsidentin in Moskau allen die Show gestohlen habe. Und deutsche Medien titeln mit einem Twitter-Zitat: "Wenn ich groß bin, heirate ich die kroatische Präsidentin". So viel Positives wurde über Kroatien schon sehr lange nicht geschrieben.
...oder doch nur peinlich?
Allerdings sind nicht alle vom Auftritt der Präsidentin begeistert - auch in Kroatien nicht. Viele haben ihre Emotions-Attacken eher mit einem Gefühl des Fremdschämens erlebt. Sie solle sich nicht lächerlich machen und alle Klischees über die geschmack- und distanzlosen Balkaneser bestätigen, geben sich manche kritisch.
Denn nicht erst beim Finalspiel, auch schon im Laufe des WM-Turniers fiel Kolinda Grabar-Kitarovic mit ihren Freudentänzchen bei jedem Tor der Kroaten auf der Ehrentribüne auf. Von der "obersten Cheerleaderin" war spöttisch die Rede. Andere lobten ironisch die russischen Gastgeber, "dass sie eine Sängerin engagiert haben, um die Herren in der Loge zu unterhalten". Und ein kroatischer Sportkommentator sagte bissig nach der Kuss-Orgie bei der Abschlusszeremonie, dass es schade ist, dass es plötzlich zu regnen anfing. Sonst hätte die Präsidentin sicher auch die herumstehenden Balljungens umarmt und abgeküsst.
Eine geschickte Taktiererin
Das Tanzen an der Schnittstelle zwischen National-Kitsch und gesunden Patriotismus, zwischen seriöser Politik und Populismus ist auch ansonsten ein Markenzeichen von Kolinda Grabar-Kitarovic. Sie genießt gerne das Bad in der Menge, inszeniert sich als eine "Präsidentin zum Anfassen" und als eine Volksvertreterin, die die Arbeit der vom Volk entfernten Regierung kritisiert und zu korrigieren versucht.
Die Politikwissenschaftlerin, die fließend englisch, spanisch und deutsch spricht und in mehreren europäischen Ländern, als auch in den USA studierte, ist seit 2015 kroatische Staatspräsidentin. Davor war sie als Diplomatin tätig und stellvertretende Generalsekretärin der NATO für den Bereich Public Diplomacy.
In Kroatien wird das Staatsoberhaupt direkt gewählt und es war schon eine Überraschung, als die damals wenig bekannte Politikerin aus der zweiten Reihe der christdemokratisch orientierten Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) gegen den populären sozialdemokratischen Amtsinhaber Ivo Josipovic knapp gewann.
Seitdem versucht sich Grabar-Kitarevic als "Mutter der Nation" zu profilieren, denn das Amt des Präsidenten ist in Kroatien nicht nur mit repräsentativen Aufgaben bestückt. Zusammen mit der ebenfalls direkt gewählten Regierung soll sie unter anderem die Außenpolitik mitgestalten, die Geheimdienste leiten und ist Oberbefehlshaberin der Streitkräfte.
Und bald wird wieder gewählt
So mischt Grabar-Kitarevic auch in der Tagespolitik munter mit - regelmäßig bläst sie auch kräftig ins nationalistische Horn. So stellt sie sich als Schutzpatronin der Kroaten in Bosnien und Herzegowina dar und fordert eine Stärkung ihrer Stellung in dem unstabilen Nachbarstaat. Sie trifft sich in Argentinien mit ausgewanderten Kroaten, die immer noch dem faschistischen Ustascha-Regime aus dem Zweiten Weltkrieg nachtrauern und lobt sie für ihre Heimatliebe. Oder sie sagt, ohne mit der Wimper zu zucken, man solle eine Kommission gründen, um die echte Wahrheit über das ehemalige Konzentrationslager in Jasenovac herauszufinden - und ignoriert damit revisionistisch die Tatsache, dass schon längst ganze Bibliotheken zu diesem Thema befüllt wurden und über 83.000 Opfer namentlich bekannt sind.
Von der populistischen Stimmung getragen, versteht Kolinda Grabar-Kitarovic ihre Rolle als ein drittes, von der Regierung und vom Parlament unabhängiges Machtzentrum. Dafür ist ihr keine These zu steil, keine noch so skurrile Aktion zu peinlich. Und zurzeit gibt es in Kroatien nichts besseres um die eigene Popularität zu stärken, als auf der Welle der Fußball-Euphorie zu reiten. Das macht die Präsidentin sehr geschickt.
Ach ja, nächstes Jahr sind in Kroatien wieder Präsidentschaftswahlen. Kolinda Grabar-Kitarovic hat sich noch nicht dazu geäußert, ob sie wieder antreten wird. Eine Amtsperiode wäre ihr noch erlaubt.