Leichen im Keller
23. November 2016Als der deutsche Afrikaforscher Richard Kandt auf einer seiner Reisen durch das heutige Ruanda auf einen "Pygmäen" trifft, vermutlich vom Stamm der Twa, ist sein Sammelfieber geweckt. Kandt bittet darum, den Mann, der sich als Kriegsgefangener in den Händen der deutschen Kolonialherren befindet, zu töten.
"Dann ließ er das Fleisch vom Knochen trennen und schickte den Schädel des Mannes postwendend nach Berlin", erzählt der MDR-Journalist Markus Frenzel die grausige Geschichte aus der Zeit Deutsch-Ostafrikas weiter. "Kandt war stolz darauf, einen Angehörigen einer besonders raren Volksgruppe gefunden zu haben." Ziel der Forschung an solchen Schädeln war dann meist zu belegen, dass afrikanische Rassen den europäischen unterlegen seien.
Auf der Suche nach den Schädeln
Die Geschichte eines Schädels - einer von vielen, die aus deutschen Kolonialgebieten in Afrika ins Reich verschifft wurden. Mord war dabei selten das Mittel der Wahl, meist wurden wohl bereits bestattete Leichname ausgegraben und gestohlen. Wo genau der Schädel des ermordeten kleinwüchsigen Mannes aus Ruanda heute zu finden ist, kann auch Frenzel nicht sagen. Seit acht Jahren blättert er in Ordnern deutscher Archive, durchforstet die Bestände medizinischer Sammlungen auf der Suche nach Hinweisen auf afrikanische Schädel und ihre Herkunft.
"2008 hatten wir in der Universität Freiburg und in der Charité in Berlin einige Dutzend Schädel aus Namibia gefunden", erzählt Frenzel. "Es gab einen Skandal, und es wurden einige Wissenschaftler daran gesetzt, dies aufzuarbeiten. Diese Schädel wurden dann zurückgegeben. Aber eben nur diese." Frenzel hatte Hinweise, dass es weit mehr menschliche Überreste aus Kolonialgebieten in den Sammlungen deutscher Institute gab.
"Wollen wir nicht haben"
Frenzel und das Team des ARD-Magazins FAKT sind nun im Zentraldepot der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) fündig geworden: Dort sollen 1003 Schädel aus dem Gebiet des heutigen Ruanda und 60 Schädel aus Tansania lagern. SPK-Präsident Hermann Parzinger äußerte sich FAKT gegenüber: "Diese Dinge wollen wir schlicht und ergreifend nicht in unseren Sammlungen haben, weil sie mit einem Wissenschaftsverständnis behaftet sind, das nicht unseres ist." Deshalb werde man nun die Herkunft der Schädel genauer erforschen um sie dann zurückzugeben. Das hat gegenüber dem MDR auch der ruandische Botschafter in Berlin, Igor Cesar, gefordert.
Ähnlich sehen das viele DW-Nutzer aus Ostafrika, die sich auf den Facebook-Seiten der Kisuaheli-Redaktion zum Thema äußern. Ben Kazumba aus Tansania etwa fordert: "Sie müssen uns die Schädel unserer Vorfahren zurückgeben." Miraji Mwana Kibinda ist betroffen von den Bildern der Gebeine, die noch in Deutschland lagern: "Mein ganzer Körper zittert, wenn ich diese Schädel sehe. Ich fühle mich verletzt, wenn ich daran denke, was unseren Vorvätern angetan wurde. Dismas Komba sieht die Sache anders: "Sie sollten die Schädel lieber vergraben, sie haben keine Bedeutung. Wenn, dann bringen sie uns nur dazu, bitter zu werden angesichts der Verbrechen an unserem Volk."
Eine Rückgabe der Gebeine nach Ruanda und Tansania könnte dauern, weil zuvor die genaue Herkunft erforscht würde. Zu lange, meint Journalist Frenzel. Das könne nicht im Interesse der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sein, schließlich wolle die Stiftung in Zukunft große Ausstellungen außereuropäischer Exponate im geplanten Humboldtforum in Berlin organisieren. "Die müssen dieses Kapitel jetzt schnell über die Bühne bringen", so Frenzel. "Wer sollte aus Afrika Sammlungen nach Berlin schicken, wenn er weiß, dass dort vielleicht noch die eigenen Vorfahren im Keller liegen?"