Kolumne: Berliner Partys sind harte Arbeit
25. September 2016"Berlin ist keine Weltstadt", las ich vor kurzem erstaunt im "Cicero". Das Politik-Magazin traf damit die Berliner dort, wo sie am verwundbarsten sind: in ihrem Selbstverständnis als Nabel der Welt. "Cicero" begründete sein Urteil mit den mangelnden Anstrengungen der Berliner. Das Geld werde nicht in der Hauptstadt, sondern in Hamburg oder Frankfurt verdient: "Wer doppelt so viel arbeitet, hat eben auch nur halb soviel Spaß. Das krasse Gegenteil von Berlin."
Lobby- und Politikveranstaltungen in Berlin
Solche Sticheleien zielen auf das Party-Image Berlins. Doch wer sich wie "Cicero" darüber aufregt, verkennt, dass Partys in Berlin auch harte Arbeit sein können. Insbesondere die Lobby- und Polit-Veranstaltungen von Industrie, Parteien, Stiftungen und Medien. Was die Sache noch schweißtreibender macht: Die Rollen sind gleich doppelt besetzt. Man lädt ein und wird eingeladen.
Beispiel Seeheimer Kreis: Die Vereinigung innerhalb der SPD, die eher den rechten Flügel repräsentiert, bittet zum Sommerfest. Doch was für das ungeschulte Auge wie eine Party aussieht, ist für Sebastian Frevel, Geschäftsführer der Beratungsfirma Advice Partners, schlicht Arbeitsalltag (siehe Artikelbild). Bis zu 50 Veranstaltungen absolviert er im Jahr, manchmal auch zwei bis drei am Abend. Gemeinsam mit seinen Kollegen berät Frevel Unternehmen und verschafft ihnen Zugänge in die Politik.
Auffallen und Image aufbauen ist wichtig
Nach einem langen Tag im Büro hat sich Sebastian Frevel abends noch ins Getümmel gestürzt. Das Politikgeschäft sei der "totale Wettbewerb um Aufmerksamkeit", erklärt Frevel die vielen Lobby-Events in Berlin. Damit könne man "über die Wahrnehmungsschwelle hinweg kommen und sein Image aufbauen". Mehrere Stunden verbringt Frevel bei den "Seeheimern". Er wolle, dass die Leute mitbekommen, dass er "zum Club" gehöre. Und natürlich geht es auch darum, Informationen zu sammeln und neue Leute kennenzulernen.
Wenige Straßen weiter, in der Bel Étage des Hauses Unter den Linden 10, lädt der fast schon totgesagte TV-Hersteller Loewe in seinen "Loewe Raum" – mit modernsten Fernsehgeräten in schickem Design. Dazu gibt es eine Live-Band und Promis, wie die Schauspielerin Alexandra Maria Lara. Die Botschaft ist klar: Loewe lebt. Diesen Nachweis muss die Bayerische Landesvertretung nicht führen, wenn sie ihre Pforten zum Oktoberfest öffnet. Hier geht es um dröhnend selbstbewusste Vermittlung bayerischer Lebensart. Und zu vorgerückter Stunde läßt man sich mit dem Maßkrug in der Hand über die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik aus.
Events wie diese sind an der Tagesordnung in Berlin. Den Veranstaltern geht es darum, ihre jeweilige Klientel zu erreichen. Marie Louise Bergs Kommunikationsfirma hilft ihnen dabei. Über 5000 Adressen hat ihre Agentur im Computer, 2000 gehören zum "festen Kreis". Für das Loewe-Event hat Marie Louise Berg passende Kontakte beigesteuert. Während der Berliner Fashion Week unterstützte sie Kimberly Emerson, die Frau des US-Botschafters, bei einer Ausstellung, in der junge Berliner Designer ihre Kollektion aus amerikanischem Denim präsentierten. Auch hier eine klare Botschaft: Amerikanische Mode ist auch "Made in Germany"
Spaß und Kultur gehören dazu
Einer, der diese interessengleitete Spaßkultur der Stadt wie kein anderer verkörperte, ist der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Ich treffe ihn auf dem Sommerfest der Wirtschaft im Kronprinzenpalais. Da steht er, parliert lässig und gut gelaunt mit Gott und der Welt. Er müsse hier sein, er sei ja im Vorstand des ausrichtenden Vereins Berliner Kaufleute und Industrielle (VBKI) , sagt er fast entschuldigend.
Ohne schlechtes Gewissen kann man dagegen die Saisoneröffnung des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt genießen, denn Kultur ist unverdächtig und darf schließlich auch Spaß machen. Und der ist dem früheren Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ins Gesicht geschrieben, als ich ihn in der Konzertpause treffe. Was die Musik anbelangt, da sei er ein Konservativer, gibt der Sozialdemokrat zu. Nachdem er den sperrigen Hans Werner Henze durchgestanden hat, ist die Vorfreude auf Anton Bruckner groß. Und als das Konzerthausorchester und sein fabelhafter Dirigent Iván Fischer nach viel Beifall schließlich die Bühne verlassen, signalisiert Steinbrücks verzückte Miene: Zumindest musikalisch gesehen ist Berlin eine Weltstadt.