Kolumne: Warum das Berlinerische bedroht ist
8. Oktober 2017"Icke" hat es geschafft. Endlich, mit letzter Kraft. Es wurde aufgenommen in das Allerheiligste der deutschen Sprache. Manche nennen es auch einfach nur den "Duden". Damit ist "Icke" noch nicht Hochkultur. Aber mit vielen Spitzenerzeugnissen der hohen und höchsten Kultur hat es eine traurige Gemeinsamkeit: Es ist gefährdet! Wie gut, dass der Duden seinen schützenden Schirm über diese kantige Berliner Variante des kuschelig-korrekten Personalpronomens "Ich" ausgebreitet hat.
"Icke" ins Weltkulturerbe
Eigentlich müsste die UNESCO noch nachlegen, finde ich, und aus "Icke" ein Kulturdenkmal machen. Dann kann es in die ewige Liste des Weltkulturerbes aufgenommen werden. Und steht sozusagen unter Denkmalschutz. Das wäre eine gute Maßnahme. Denn das Berlinerische ist in Berlin auf dem Rückzug. Nicht nur, weil Radio Moskau und BBC nicht mehr berlinern, wie sie es noch während es Zweiten Weltkriegs getan haben.
"Immer weniger sprechen echt Berliner Schnauze" hat eine Zeitung unlängst getitelt und damit bei mir alle Alarmsirenen heulen lassen. Die jungen Leute finden Berlinerisch nicht mehr cool. Und die jährlich 60.000 Neuberliner hatten es nicht auf ihren heimischen Lehrplänen. Übrigens, wussten Sie, dass Zugereiste auf Berlinerisch "Klippenkacka" heißen? Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Ohnehin sind nur ein Viertel der Berliner wirkliche Berliner, also "waschecht" und original hier geboren. Tendenz sinkend (siehe oben). Schlimm genug, dass der Berliner dem Untergang geweiht ist. Aber doch bitte nicht seine Sprache.
Oh, wie ich es vermissen würde, wenn ich nicht mehr auf Berlinerisch abgekanzelt würde - etwa von der Angestellten im DHL-Laden, die für die Bezahlung meiner 75 Cent Briefmarke nur widerwillig raunzend die Kreditkarte annimmt. Oder von Autorüpeln, die im Vorbeirasen bei heruntergelassener Fensterscheibe mit mir auf Berlinerisch "Tacheles" reden, weil ich es wage, die Straße zu benutzen.
Ja, das Berlinerische gehört eben zu Berlin. So wie der Apple zu New York. Oder die Sachertorte zu Wien.
Gaunersprache aus Berlin
Doch anders als die Sachertorte kommt es nicht aus den lichten Höhen der Kulinarik, sondern von ganz unten: aus der Gosse. Der Sprachwissenschaftler nennt das etwas feiner "Rotwelsch". Klingt wie Rotwild. Doch das wäre eine verantwortungslose Verharmlosung. Das Berlinerische wurde einst wie ein ansteckender Virus eingeschleppt - von Verbrechern und Halunken. Das sind so etwa die Vorfahren der heutigen Politiker.
Berlinerisch ist also eine Gaunersprache. Ihre kriminelle Vorgeschichte kann man bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Schon damals klagten die Berliner zum Beispiel über "Kohldampf" (Hunger). Und nahmen sich in bewährter Manier, was sie kriegen konnten. Früher waren das Rüben und Kraut. Heute ist das die Übernachtungssteuer für ahnungslose Touristen. Oder die üppigen Bundeszuschüsse, die Berlin für Museen und Theater oder für die Aufrechterhaltung der Sicherheit abgreift.
Ich finde: Das Berlinerische ist die Seele der Stadt. Ja richtig, ein paar Vorbehalte haben sich bis heute gehalten: ordinär, vulgär, direkt, frech, schnoddrig.
Berliner Tugenden
Aber Bingo! Das ist doch mitten ins Berliner Herz getroffen. Mit keinen anderen Worten könnten sie besser umschrieben werden, die Berliner Tugenden, wegen derer so viele Menschen in die Stadt kommen.
Nur bitte schön, liebe Weltbürger, achtet darauf, dass diese Tugenden lebendig bleiben und sich artikulieren können. Lernt Berlinerisch! Es geht um alles, es geht um Berlin, um die gefährdete Seele dieser wunderbaren Stadt. Und auch ich werde jetzt Berlinerisch büffeln. Auch wenn ich nicht versprechen kann, dass "Klippenkacka" mein Lieblingswort wird.