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Ägyptens allzu starker Staat

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
3. Juli 2015

Kritiker versucht die ägyptische Regierung möglichst mundtot zu machen. Und die Justiz fällt oft willkürliche Urteile gegen sie. Das fördert tendenziell den Terrorismus, statt ihn zu stoppen, meint Kersten Knipp.

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Ägypten: Panzer auf dem Sinai an der Grenze zu Israel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A. Cohen

Ägypten schaut auf eine blutige Woche zurück. Zu deren Beginn, am Montag, fiel Generalstaatsanwalt Hischam Barakat einer Autobombe zum Opfer. Zur Wochenmitte griffen Dschihadisten auf dem Sinai mehrere Stützpunkte der Armee an und töteten rund 60 Soldaten sowie mehrere unbeteiligte Zivilisten - die jüngsten einer langen Serie von Angriffen, bei denen insgesamt hunderte Soldaten ihr Leben verloren. Die Armee tötete gleichzeitig rund 100 Terroristen. Sie habe die Lage auf dem Sinai nun wieder unter Kontrolle, heißt es aus ihrer Führung.

Am gleichen Tag stürmten ägyptische Sicherheitskräfte in Kairo einen Treffpunkt führender Muslimbrüder und erschossen 17 von ihnen. Die Muslimbruderschaft drohte Konsequenzen an und rief ihre Mitglieder dazu auf, "sich zur Revolte zu erheben".

Tausende willkürlich Verhafteter

Ob es der Armee gelingt, die Extremisten auf dem Sinai zurückzudrängen, ist mehr als fraglich. Im Juni konnten die Sicherheitskräfte einen geplanten Anschlag auf die Tempelanlage von Karnak in Luxor nur knapp vereiteln - das zeugt nicht von militärischer Souveränität. Die Gesetzgebung sieht mittlerweile drastische Strafen für Terroristen vor, bis hin zur Todesstrafe - auch das könnte statt zu einer Befriedung ins Gegenteil umschlagen.

Das Problem ist: Der Begriff "Terrorismus" wird in Ägypten sehr weit gefasst. Das zeigen die Todesurteile gegen Hunderte von Muslimbrüdern, verhängt in Massenprozessen. Und das zeigen die Prozesse nicht nur gegen religiöse, sondern auch gegen säkulare Kritiker.

DW-Redakteur Kersten Knipp (Foto: DW)
DW-Redakteur Kersten Knipp

"Generation Jail" hat Amnesty International eine in dieser Woche veröffentlichte Studie betitelt, die das Schicksal 14 verhafteter junger Ägypter beschreibt, die seit vielen Monaten ohne ordentliches Verfahren im Gefängnis sitzen. Ihr einziges Vergehen: Sie hatten an ungenehmigten Demonstrationen teilgenommen. Die 14 sind exemplarisch für tausende junger Menschen, die aus ähnlichen Gründen inhaftiert sind.

Auch mehrere Journalisten sitzen derzeit hinter Gittern. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatten die Chefredakteure von 17 privaten und staatlichen Medien erklärt, keine Kritik an Militär, Polizei und Justiz mehr äußern zu wollen. Das ist eine journalistische Bankrotterklärung. Es beweist den enormen Druck, mit dem das Regime Medienvertreter einzuschüchtert.

Keine unabhängige Justiz

Auch die Verhaftung des den Muslimbrüdern verbundenen Al-Dschasira-Journalisten Ahmed Mansur weckt Zweifel an der Rechtsauffassung der ägyptischen Justiz. Die hatte Mansour gleich mehrere Tatbestände vorgeworfen: Er wird der Folter, der Vergewaltigung und des Raubes beschuldigt. Die Vorwürfe blieben so vage, dass die Berliner Justiz den Journalisten bald wieder frei ließ.

Das alles lässt nur den Schluss zu, die ägyptische Justiz handele politisch motiviert und wolle Oppositionelle sämtlicher Couleur einschüchtern und mundtot machen. Damit trägt sie ihren Teil dazu bei, die ägyptische Gesellschaft wieder in die repressive Zeit des Mubarak-Regimes zurückzuschicken.

Zweifelhafte Strategie gegen den Terror

Selbstverständlich ist der Einsatz der Armee gegen die teils mit dem "Islamischen Staat" verbündeten Dschihadisten auf dem Sinai unverzichtbar. Die Art aber, in der Justiz und Militär mit ihren Gegnern umspringen, lässt befürchten, dass sie den Terror letztlich nicht bekämpfen, sondern fördern werden.

Immer mehr Muslimbrüder laufen zu den dschihadistischen Terroristen über. Gerade junge Muslimbrüder sind bereit, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. Das könnte für die Stabilität des Landes, dem der Fremdenverkehr wichtige Devisen bringt, schlimme Folgen haben. Wie empfindlich gerade der Tourismus auf Terror reagiert, hat sich in Tunesien gezeigt.

Riskanter Schulterschluss

Deutschland könnte in dieser Gemengelage eine wichtige Rolle spielen. Politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger gehen gerade auf die Regierung al-Sisi zu. Deutsche Unternehmen haben mit ihr mehrere Verträge geschlossen. Das bringe langfristig Geld nach Ägypten, heißt es. Stimmt. Es fragt sich nur, in wessen Hände es gerät. Fatal wäre es, flösse es in die gleichen kleptokratischen Kanäle wie einst unter Mubarak.

Ägypten ist ein starker, ein unverzichtbarer Staat im Nahen Osten. An ihm führt kein Weg vorbei. Riskant ist es allerdings, in zu große Nähe zu einer Regierung zu kommen, die die Menschenrechte mit Füßen tritt. Die ägyptischen Liberalen würden den Schulterschluss Deutschlands mit ihren Peinigern nicht vergessen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika