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Kommentar: Allianz der Schlächter

Claus Stäcker9. März 2015

Sind die Bilderstürmer des IS auf Expansionskurs? Meldungen vom Wochenende legen das nahe. Der vermeintliche Boko-Haram-Anführer soll sich der Terrorgruppe unterworfen haben. Claus Stäcker kommentiert.

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Boko Haram Kämpfer
Bild: picture alliance/AP Photo

Eine Audiobotschaft mit explosivem Inhalt: Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau schwört dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi angeblich die Gefolgschaft. Schon zeichnet sich das Horror-Szenario eines islamistischen Terrornetzes von Irak und Syrien über Libyen bis nach Westafrika ab: die beschleunigte Globalisierung des Terrors, eine Allianz der Schlächter.

Doch ganz so weit her ist es damit wohl nicht. Zunächst bleiben einige Zweifel an der Authentizität der Audiobotschaft: Der angebliche Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau allein scheint mindestens neun Leben zu haben. Nigerias Polizei hat ihn seit 2009 bereits mehrfach für tot erklärt, in wüsten Bekennervideos nach Anschlägen oder Entführungen aber tauchte Shekau stets wieder auf. Aber nicht einmal anhand dieses Bildmaterials konnte bisher zweifelsfrei die Identität jenes blutrünstigen Wirrkopfes bestätigt werden. Hartnäckig hält sich die These, dass die verschiedenen öffentlichen Bekenntnisse der vergangenen Jahre unterschiedliche Urheber haben. Eine Audiobotschaft wäre noch leichter zu manipulieren. Vorsicht mit vorschnellen Zu- und Einordnungen ist also geboten.

Erst Taliban, dann Al-Kaida, nun IS

Inhaltlich kann man sich natürlich gut vorstellen, dass der Treueschwur authentisch ist. "Wir rufen Muslime in aller Welt auf, dem Kalifen Gehorsam zu leisten", heißt es in der Botschaft. Ein Angstbündnis dieser Art würde Boko Haram auf der Schreckensskala eine neue Qualität geben. Das passt ins Bild: Als im globalen Wettbewerb um die furchterregendste Reputation noch die afghanischen Taliban ganz oben standen, brachte sich Boko Haram mit ihnen in Verbindung. Als Al-Kaida sich wie eine Flächenbrand verbreitete und sich Salafistengruppen zur "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" (AQIM) umformierten, ließ Boko Haram "den Brüdern von Al-Kaida" alsbald Solidaritätsbotschaften folgen. Immer wieder hieß es vage, sie würden von Boko Haram unterstützt. Als al-Baghdadi das Kalifat ausrief, hatte auch der vermeintliche Shekau schnell das richtige Modell zur Hand. Auch die seither verbreiteten Videobotschaften nehmen die IS-Ästhetik auf - fast wirkt es so, als habe der Lehrling seinen Meister gefunden.

Doch zieht tatsächlich ein Spiritus Rektor im Zweistromland die Fäden in Afrika? Experten und Augenzeugen haben einige Anhaltspunkte für Kooperationen gefunden. So berichtete ein Al-Shabaab-Aussteiger der DW, Nigerianer in Trainingscamps in Somalia getroffen zu haben. Auch von finanziellen Verquickungen war immer wieder die Rede. Ebenso soll es Treffen zwischen AQIM und Boko Haram gegeben haben. Dass die nigerianische Terrortruppe aber gezielt vom IS gesteuert und dirigiert wird, eine institutionalisierte Partnerschaft besteht, muss bezweifelt werden. Die Geschichte von Boko Haram ist regional und eher mit der verworrenen Machttektonik in Nigeria verbunden als mit einer schlüssigen, globalen Ideologie. Das Monster ist selbsterschaffen.

Claus Stäcker
Claus Stäcker, Leiter der Hauptabteilung Afrika der DWBild: DW

Spuren in die nigerianische Politik

Inzwischen aber ist der Kampf gegen die Sekte zur zentralen Machtfrage in der Hauptstadt Abuja geworden. Und so würde eine Aufwertung der Boko Haram zu einer IS-Dependance vor allem dem ums politische Überleben kämpfenden Machthaber Goodluck Jonathan nützen. Ein sehr schnelles Regierungsstatement auf die Boko-Haram-Botschaft gab die Richtung vor: "Hoffentlich wacht die Welt nun auf und erkennt die Katastrophe, die sich hier abspielt."

Den IS zum Gegner zu haben, klingt besser als mit einem regionalen Feind nicht fertig zu werden. Das schreit nach Bündnissen, nach internationaler Unterstützung und Anerkennung - nach Legitimation der Machthaber, die gerade mit dem Verweis auf den Anti-Terror-Kampf die Wahlen verschoben haben.

Natürlich hat die Welt allen Grund, aufzuwachen und die Lage im Norden Nigerias ernst zu nehmen. Und selbstverständlich macht es Boko Haram keinen Deut ungefährlicher, wenn sie nicht zum IS gehörte. Aber die Welt, die der nigerianischen Führung wiederholt Hilfe im Kampf gegen die Sekte angeboten hat, ihr aber nicht über Weg trauen kann, muss weiterhin einen kühlen Kopf bewahren. Sie darf sich nicht zum Parteigänger machen und sich mittelbar für schmutzige politische Geschäfte in Nigeria hergeben.