Ein guter Anfang
Angela Merkel hat in Berlin die Ziele ihrer inzwischen vierten Amtszeit in einer Regierungserklärung skizziert. Die Erwartungen waren nicht sehr hoch. Die deutsche Bundeskanzlerin ist schließlich nicht als begnadete Rhetorikerin bekannt, sondern eher berühmt für ihre nüchtern-pragmatische Art. Ein leidenschaftliches Aufbruchssignal hatte deswegen niemand erwartet.
Doch irgendwie scheint sich auch bis ins Kanzleramt herumgesprochen zu haben, dass inzwischen mehr Leidenschaft in der Politik wichtig ist. Der Zeitgeist ist ein anderer geworden - er ist weniger auf Konsens ausgerichtet.
Vieles falsch gemacht
Deshalb war es richtig, dass Merkel ungewohnt selbstkritisch die Lage in Deutschland beschrieb - und zwar gleich zu Beginn ihrer Rede. Das Land sei gespalten und polarisiert, voller Sorgen und Ängste, so Merkel. Ihr berühmter Satz "Wir schaffen das!" auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise sei "Kristallisationspunkt dieser Auseinandersetzung" geworden.
Gut war aber auch, dass Merkel daran erinnerte, wie lange die internationale Gemeinschaft - und Merkel nahm sich da selbst nicht heraus - vor den Folgen des Syrien-Kriegs auch in dessen Nachbarstaaten die Augen verschlossen hat. Also die Flüchtlinge in den riesigen Lagern und deren Notlage nicht sehen wollte. Und dass Deutschland auf ein "untaugliches Dublin-System" in der EU gesetzt hat. In der Hoffnung, dass die Flüchtlinge schon nicht bis nach Deutschland kommen würden.
Dieser historische Rückblick war richtig. Denn Fakten können Gemüter beruhigen. Emotionen allein führen nämlich auch nicht weiter.
Futter für die Populisten?
Einiges sagte Merkel allerdings nicht. Dass Deutschland damals, im Sommer 2015, auch ein Schließen der Grenzen diskutiert hatte - es also auch eine Alternative zu ihrer Grenzöffnung gegeben hätte. Dass die Flüchtlingspolitik Europa gespalten hat. Daran erinnerte dann auch unmittelbar darauf der AfD-Fraktionschef, Alexander Gauland, in seiner Antwort auf Merkel.
Zur "ganzen Wahrheit", von der Merkel sprach, hätte vielleicht auch ein Wort der Entschuldigung gehört. Und zwar an die Opfer der Terroranschläge der vergangenen beiden Jahre, die von Flüchtlingen verübt worden sind. Immerhin aber sprach Merkel die Ereignisse an.
So wie sie auch offen über die Fehler der Integrationspolitik vergangener Jahrzehnte sprach. Dass diese eben auch zu Parallelgesellschaften bis hin zu kriminellen Strukturen in Migrantenmilieus geführt haben. Und dass die Flüchtlingskrise ein Brennglas für diese Fehler war.
Gauland warf Merkel zwar vor, von eigenen Fehlern ablenken zu wollen. Aber auch dieser historische Exkurs in Merkels Rede war Teil einer wichtigen Analyse.
Merkel: "Deutschland, das sind wir alle!"
Ungewohnt war in Merkels Tonfall noch ein anderer Punkt. Und zwar, wie offensiv sie ihre Politik verteidigte. Ein Beispiel: Als sie über den Giftanschlag in Großbritannien sprach und dass vieles auf Russland deute, gab es einen kritischen Zwischenruf. Sie konterte bissig: "Ich wäre froh, wenn ich Russland nicht nennen müsste. Aber Evidenzen einfach wegzudenken, geht ja auch nicht." Merkel gab zu, dass die Lösung der Diesel-Krise einer "Quadratur des Kreises" gleichkomme. Oder dass 8000 neuen Stellen für die Altenpflege natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien. Politik nicht nur verkaufen zu wollen, sondern möglichst transparent zu erklären - das könnte ein Mittel gegen Populismus sein.
Alles in allem ein guter Anfang: Denn es geht um viel. Darum, politisches Vertrauen zurückzugewinnen - nicht nur für einzelne Parteien, sondern für das System. Merkels Schlusssatz "Deutschland, das sind wir alle!" war deshalb als Signal der Versöhnung goldrichtig. Auch wenn sie das ruhig mit noch mehr Pathos hätte sagen können. Aber die Legislaturperiode fängt je gerade erst an.
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