Kommentar: Asylrecht nur für wirklich Verfolgte
3. Juli 2014Die Feierstunde des Deutschen Bundestages zu 65 Jahren Grundgesetz liegt noch keine sechs Wochen zurück. Damals beklagte der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani mit deutlichen Worten den Zustand des Grundrechts auf Asyl in Deutschland: Der klare Satz "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" sei 1993 abgelöst worden durch eine - Zitat - "monströse Verordnung aus 275 Wörtern, die wüst aufeinandergestapelt und fest ineinander verschachtelt wurden, nur um eines zu verbergen: dass Deutschland das Asyl als Grundrecht praktisch abgeschafft hat." Und er forderte die Abgeordneten auf, das Grundgesetz bis zu dessen 70. Geburtstag von diesem "hässlichen, herzlosen Fleck" zu reinigen.
Neue "sichere Herkunftsstaaten"
Zwei Drittel der Abgeordneten teilen Kermanis Sicht ganz offenbar nicht und haben jetzt einem Gesetz zugestimmt, das auf eben jener "monströsen Verordnung von 275 Wörtern" beruht: Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina gelten fortan als "sichere Herkunftsstaaten". Faktisch bedeutet das, dass Asylanträge von Bürgern dieser Länder weniger umfassend geprüft und die Antragsteller schneller in ihre Heimat zurück geschickt werden können.
Werden dadurch Menschenrechte verletzt, wie die Kritiker des neuen Gesetzes argwöhnen? Nein, denn in keinem der West-Balkanstaaten herrschen Zustände, wie sie die Väter und Mütter des Grundgesetzes 1949 bei der Formulierung des Asylrechtes vor Augen hatten. Bei den Antragstellern aus diesen drei Ländern handelt es sich nämlich fast ausschließlich um Roma, die in ihrer Heimat zwar auf vielfältige Weise benachteiligt, aber eben nicht verfolgt werden. Das deutsche Asylrecht kann aber nicht das Instrument sein, mit dem solche Probleme gelöst werden.
Die Entscheidung des Deutschen Bundestages ist noch aus einem weiteren Grund richtig: Gegenwärtig wird rund jeder fünfte Asylantrag in Deutschland von Bürgern aus einem dieser drei Staaten gestellt. Die absolute Zahl dieser Anträge hat sich verzehnfacht, seit Serben, Bosnier und Mazedonier Visa-frei nach Deutschland reisen können. Ohne das neue Gesetz wäre die Rückkehr zur Visumspflicht eine unweigerliche Folge - zum Nachteil aller Bürger dieser Länder.
Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak ist vorrangig
Außerdem tut der Gesetzgeber gut daran, in Zeiten sprunghaft anwachsender Flüchtlingszahlen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan die Möglichkeiten der Hilfe durch Deutschland auf diejenigen zu konzentrieren, deren Leib und Leben extrem gefährdet ist. Den Bürgern ist der in fast allen deutschen Kommunen dringend nötige Neubau von Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünften nicht mehr zu vermitteln, wenn sie zu einem Gutteil von Menschen genutzt werden, die fast ausnahmslos wieder weggeschickt werden müssen, weil ihr Asylantrag offensichtlich unbegründet ist. Wer mit gutem Recht von den Deutschen mehr Hilfe für die Opfer der Konflikte in Syrien und dem Irak erwartet, muss zulassen, dass Prioritäten gesetzt werden.
Skandalös ist deswegen nicht diese neuerliche Verschärfung der Asylgesetzgebung. Skandalös ist, dass ein großer Teil der nach Deutschland gekommenen Syrer sich mit einer Bootsfahrt über das Mittelmeer noch einmal in Lebensgefahr bringen musste, um hier Zuflucht zu finden. Und skandalös ist auch, dass in einem Land, in dem ständig über den Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland schwadroniert wird, viele eben jener Fachkräfte von außerhalb Europas einen Asylantrag stellen müssen, um zunächst einmal Einlass zu finden. Um mit Navid Kermani zu sprechen: Es wäre schön, wenn dieser "hässliche, herzlose Fleck" der deutschen Gesetzgebung bis zum nächsten runden Geburtstag des Grundgesetzes gereinigt werden könnte.