Je größer die Krise, desto motivierter die selbst ernannten Retter. In Brasilien haben sich gleich zwei alte Männer bereit erklärt, das Land aus der politischen Sackgasse zu führen. Präsident Jair Bolsonaro und der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassene Ex-Präsident Luíz Inácio Lula da Silva.
Es ist ein brasilianisches Trauerspiel: Seit der Amtsenthebung von Lulas Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff im August 2016 kommt das Land nicht zur Ruhe. Die Perspektiven sind düster. Hohe Arbeitslosigkeit, minimales Wirtschaftswachstum und ein vergiftetes politisches Klima lähmen das Land.
Die Frage ist: Wie lange kann die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt diese Dauerkrise durchhalten? Und könnte der ehemalige Präsident Lula, der während seiner Regierungszeit (2003 - 2011) über 30 Millionen Menschen mit Hilfe von Sozialprogrammen aus der Armut befreite und deshalb weiterhin von vielen Brasilianern verehrt wird, das Land aus der Krise führen?
Aufstieg und Absturz
Die Antwort lautet: leider nein. Trotz der enormen Verdienste Lulas für Brasilien. Trotz seines enormen Charismas. Trotz seines politischen Verhandlungsgeschicks. Trotz seiner Beliebtheit und seines internationalen Ansehens.
Denn an der Figur Lulas zeigt sich die Zerissenheit der brasilianischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die bis heute mit dem Erbe der Sklaverei und des Kolonialismus kämpft, und die seit der Militärdiktatur (1964 - 1985) von einem ideologischen Lagerkampf durchdrungen ist.
Ideologische Grabenkämpfe
Schon die Militärs hatten sich den Kampf gegen angeblich gefährliche Kommunisten und Sozialisten auf ihre Fahnen geschrieben. Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro, ein ehemaliger Fallschirmjäger und Anhänger der Militärdiktatur, hat diesen Kampf wieder aufgenommen.
Zwar hat Lulas Arbeiterpartei PT während ihrer Regierungszeit hinlänglich bewiesen, dass von ihr keine Gefahr ausgeht. Doch wie alle anderen Parteien auch tappte die PT irgendwann in die Falle der Macht. Im Zuge des Korruptionsskandals "Lava Jato" (Waschstraße) befanden sich auf einmal auch ihre Vertreter auf der Anklagebank.
Aus der Sackgasse der politischen Polarisierung kann deshalb nur ein Bündnis der politischen Mitte herausführen. Weder der Hass auf Lula und die PT taugt zum Regierungsprogramm, noch der Hass auf die rechtsextremen Ausfälle Bolsonaros oder die neoliberalen Reformen seines Wirtschaftsministers Paulo Guedes.
Permanenter Wahlkampf
Brasiliens politische Klasse darf deshalb nicht die Fehler aus dem Wahlkampf 2018 wiederholen. Denn die Wahl Bolsonaros wurde erst möglich, weil es die Parteien aus dem mittleren politischen Spektrum nicht vermocht hatten, einen gemeinsamen Kandidaten mit Erfolgsaussichten aufzustellen. Und weil die PT an ihrem Kandidaten Lula trotz aller juristischer Unwägbarkeiten festhielt.
Diese politische Polarisierung hat dazu geführt, dass sich Brasilien seit 2016 permanent im Wahlkampf befindet. Schlimmer noch: Es scheint, als ob die Vergiftung des politischen Klimas selbst zu einem Geschäftsmodell avanciert ist, das die Gesellschaft in Atem hält und Phrasendreschern mehr Aufmerksamkeit verschafft, als sie verdienen.
Auch wenn die nächsten Wahlen erst 2022 anstehen - die Abstimmung mit den Füßen hat bereits begonnen. Tausende von Brasilianern sitzen auf gepackten Koffern oder haben das Land bereits verlassen.
Die Auswanderungswelle ist ein Indikator für die wachsende Perspektivlosigkeit, die viele Brasilianer in ihrem Land empfinden. Die Botschaft ist klar: Dauerwahlkampf führt nicht aus der Dauerkrise. Brasilien braucht einen Neuanfang - ohne Bolsonaro und leider auch ohne Lula.