Man muss Julian Nagelsmann bereits im Vorfeld dieser Saison dankbar sein. Der Trainer von 1899 Hoffenheim hat sich tatsächlich getraut zu sagen, was für eigentlich alle Verantwortlichen der übrigen Bundesligaklubs als unrealistisch gilt, nicht mehr als eine Träumerei oder sogar gänzlich Humbug ist. Dabei hat der 31-Jährige nur ausgesprochen, weshalb Mannschaften gebildet werden, um dann in einen Wettbewerb einzutreten: "Ich strebe immer nach dem Maximalen. Und das Maximale ist der Titel", hat Nagelsmann tatsächlich geäußert. Wenig später legte sein Stammtorwart Oliver Baumann angesprochen auf seine Einschätzung zu den Titelchancen im Kicker nach: "Wenn sehr vieles passt, ist das möglich. Weil wir sowieso in die Spiele gehen, um sie zu gewinnen. Als realistische Einschätzung und nicht nur als Parole. Weil es möglich ist, wenn wir unsere Leistung abrufen."
Bundesliga - ein reich gedeckter Tisch
Bei den meisten Anhängern des Fußballs hat der junge Coach (außer natürlich bei den Bayern-Fans) mit seiner Ankündigung neue Hochachtung gewonnen. Endlich traut sich mal jemand, dem eigenen Tun ein klar formuliertes Ziel zu verleihen. Bei seinen Liga- Kollegen dürfte Nagelsmann allerdings nur ein müdes Lächeln geerntet haben. Schließlich trauen sich weder Borussia Dortmund noch Vizemeister FC Schalke 04 - die derzeit wohl aussichtsreichen Kandidaten - öffentlich den Gedanken zu äußern, bewusst und mutig um den Titel mitspielen zu wollen und die Bayern vom Thron zu stoßen.
Es ist wohl keine allzu mutige These, dass auch in der kommenden Spielzeit Langeweile an der Tabellenspitze droht. Die Bayern haben sich sportlich nicht verschlechtert, der große Rest hat sich nicht entscheidend verbessert. Diese Gemengelage macht die Liga nicht gerade attraktiver. Auf längere Sicht ein wohl kaum noch durchzuhaltender Zustand, mit dem ein Interessensverlust des Publikums zwangsläufig einhergehen wird.
Internationaler Sättigungsprozess
Dass sich bei den Klubs vielfach eine Gewöhnung an dieses scheinbar nicht mehr aufzubrechende Klassensystem breit gemacht hat, ist auch dem Umstand geschuldet, dass allein die Teilnahme an der Bundesliga für alle Beteiligten einen reich gedeckten Tisch bietet. Spieler und Verantwortliche werden dort mit überdurchschnittlich viel Gehalt ausgestattet. Sportlicher Erfolg ist nicht mehr der Gradmesser für persönlichen Wohlstand - was der eigenen Leistung nicht gerade förderlich ist.
Besonders deutlich ist dieser Sättigungsprozess in den internationalen Wettbewerben zu erkennen. Die Teams wollen sich zwar für den Europapokal, am besten für die Champions League, qualifizieren und damit die garantierten zusätzlichen Einnahmen generieren. Die sportliche Mehrfachbelastung wird dem einen oder anderen Klub (Ausnahme Bayern) dann aber zur lästigen Pflicht, die eher stört, wenn es darum geht, sich über eine gute Platzierung in der Bundesliga erneut für Europa zu qualifizieren.
Sogar Zensur soll ausgeübt werden
Viel wichtiger als Erfolge auf dem Platz scheint für die Spieler ohnehin der persönliche Marktwert zu sein, der Grad von Bekanntheit und Beliebtheit in Social Media. Nahezu jeder "private Moment" wird gepostet, oft allerdings gar nicht vom Spieler selbst, sondern choreographiert von damit beauftragten Agenturen. Nicht umsonst hat Bayern-Coach Niko Kovac Handys beim gemeinsamen Essen verboten. Auch beim BVB dürfen neuerdings keine Fotos mehr aus der Kabine in die ganze Welt hinaus gepostet werden. Wohl kein Verein hat ein Interesse daran, dass jeder Profi ohne Kontrolle einfach veröffentlicht, was er will.
Wie entrückt die Fußballwelt mittlerweile von der Realität ist, zeigen nicht zuletzt und exemplarisch die Bemühungen von Fortuna Düsseldorfs Geschäftsführer Robert Schäfer. Der hatte verfügt, dass sämtliche Zitate, egal ob im Vorbeigehen oder am Telefon von Spielern oder Trainerteam und ohne Beisein der Medienabteilung geäußert, dem Klub vorgelegt und vor der Veröffentlichung autorisiert werden müssten. Selbst vor Zensur schreckt Schäfer nicht zurück, um die Scheinwelt aufrechterhalten zu können. Besserung? Nicht in Sicht. Die Liga steuert so trotz aller wirtschaftlich guten Zahlen auf den Krisenmodus zu.
Zurück zu Julian Nagelsmann. Sein (Meisterschafts-) Ziel wird er kaum erreichen können. "Es wird schwer", lässt er nicht ganz ohne Selbstironie noch wissen. Aber immerhin erhebt sich der junge Mann aus dieser kollektiven Unterwürfigkeit und Selbstgefälligkeit und begehrt auf. Ein Hoffnungsschimmer - immerhin.