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Tönnies - der Patriarch vom Volk gestürzt

DW Kommentarbild Jörg Strohschein
Jörg Strohschein
30. Juni 2020

Clemens Tönnies ist nicht mehr Teil des FC Schalke 04. Der Patriarch ist gegangen und hinterlässt ein Vakuum im kriselnden Verein. Nun besteht die Chance, neue Strukturen zu schaffen, meint Jörg Strohschein.

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Tönnies entschuldigt sich für Äußerung über Afrikaner
Bild: picture-alliance/dpa/I. Fassbender

Vermutlich dürfte es sich um eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens gehandelt haben: Clemens Tönnies ist nicht mehr Teil des FC Schalke 04. Der 64-Jährige tritt von allen seinen Ämtern zurück. Der Patriarch wurde vom (Schalke-) Volk gestürzt.

Die jüngsten Proteste gegen ihn persönlich dürften den allmächtigen Aufsichtsratschef so tief in seiner Seele getroffen haben, dass er die Welt nicht mehr verstanden hat. Schließlich sah er sich selbst stets als Teil der Schalker Lösung und nicht als das Problem des Vereins an. Sogar, als er bei einer Podiumsveranstaltung seine rassistischen Äußerungen tätigte, sah er sich danach eher schlecht durch seinen Verein vertreten als dass er Reue zeugte.   

Mit seiner Entscheidung zurückzutreten, ist das alte Schalke nicht mehr existent, das in den vergangenen fast drei Jahrzehnten von Manager Rudi Assauer, Finanzchef Peter Peters und eben Tönnies geprägt und aufgebaut wurde. Es war ein Schalke der Hierarchien und wirkte bisweilen aus der Zeit gefallen. Es war aber auch ein Schalke, das aus der Bedeutungslosigkeit mehrfach in die Champions League stürmte und das 2001 um Haaresbreite die Deutsche Meisterschaft verpasste. Und auch ein Schalke, das aus Wettbewerbsgründen eine hochmoderne, neue Arena baute, die der Klub mit Müh und Not aus eigenen Mitteln mit finanzieren konnte.

Tönnies' Alleingänge waren gefürchtet

Clemens Tönnies thronte über alledem. Er war der starke Mann, weil er derjenige war, der Schalke als Milliardär in finanziellen Notlagen und ohne große Formalitäten immer wieder unter die Arme greifen konnte. Nicht mit Schenkungen, wie so häufig gemutmaßt, sondern eher mit Krediten, die er sich auch gerne verzinsen ließ. Und Tönnies wusste die Positionen im Klub so zu besetzen, dass er, obwohl er eigentlich nur der Chef-Aufseher im Verein war, kaum noch eine interne Opposition befürchten musste. Es gab keine wichtige Entscheidung, die nicht über seinen Schreibtisch ging. Mit seinem im Jahr 2007 mit Wladimir Putin ausgehandelten Sponsorendeal mit Gazprom, der dem Klub sehr viel Geld einbrachte, hat mancher S04-Fan noch immer keinen Frieden geschlossen.   

DW-Redakteur Jörg Strohschein hofft auf einen Neuanfang beim FC Schalke 04
DW-Redakteur Jörg Strohschein hofft auf einen Neuanfang beim FC Schalke 04

Tönnies' Alleingänge waren intern gefürchtet. Er nahm die Dinge, ganz Patriarch, lieber selbst in die Hand, der Sport war aber nie sein Fachgebiet. Und da er es stets verpasste, den Verein mit ausreichendem sportlichen Fachpersonal auszustatten, gab es auch niemanden, der ihn hätte stoppen können. So ging es öfter auch mal schief: 2009 verpflichtete er Trainer Felix Magath, 2016 Manager Christian Heidel - jeweils mit langfristigen negativen Auswirkungen. Bei vielen Fans, die sich den Rücktritt von Tönnies schon länger gewünscht haben, dürfte nun große Erleichterung eingetreten sein. Aber was bleibt für die Schalker?

Der Koloss droht zu sinken

Tönnies hinterlässt ein Vakuum, das sich in seinem Umfang wohl erst in den nächsten Wochen so richtig erkennen lassen wird. Und es bleibt ein Schuldenberg, der sich nach den Corona-Einschränkungen auf mittlerweile rund 240 Millionen Euro summiert hat. Der Klub gibt ein Bild ab, das fast schon dem der sinkenden Titanic ähnelt. Ein Koloss, der den Halt verliert und der nicht mehr zu retten ist. Allerdings: Schalke hat zwar den Eisberg gerammt, ist aber noch nicht untergegangen.  

Noch hat der Klub die Möglichkeit, seine internen Strukturen zu überdenken und sie den neuen Zeiten anzupassen. Er sollte davon Abstand nehmen, das Wohl und Wehe zu zentralisieren. Er sollte die internen Seilschaften, die über die vielen Jahre entstanden sind, durch kluge Strukturveränderungen auflösen. Und er sollte zu demokratischeren Entscheidungsprozessen kommen, die nicht von spontanen Einfällen eines Einzelnen sondern von langfristiger Analyse und Expertise geprägt sind. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit im Millionenspiel Bundesliga - sollte man zumindest meinen.

Es werden wohl einige Jahre vergehen, bis der traditionsreiche Ruhrgebietsklub sich von diesem (Corona-) Jahr erholen wird. Aber eines ist mit der Entscheidung von Tönnies zurückgekehrt nach Gelsenkirchen: eine Aufbruchstimmung, die es in dieser Form schon lange nicht mehr gegeben hat.