Die erste und entscheidende Kontinuität stellen führende Politiker der heutigen Republik Serbien dar: Zwischen 1998 und 2000 hieß der mächtige Präsident der aus Serbien und Montenegro bestehenden Bundesrepublik Jugoslawien immer noch Slobodan Milošević. Und sein Informationsminister war Alexander Vučić - damals radikal in jeder Hinsicht. Als gegenwärtiger und im Westen geschätzter Ministerpräsident Serbiens möchte er seine "Jugendsünden" heute am liebsten vergessen machen. Doch solche Jahrestage sind ja dazu da, dass man gemeinsame Erinnerungen pflegt.
Auch Vučićs heutiger Außenminister Ivica Dačić war zum gleichen Zeitpunkt ein Jungstar und der Pressesprecher der Sozialistischen Partei. Deren absoluter Herrscher war wer? Richtig - Slobodan Milošević. Dačić ist ein kluger Taktiker, seine propagandistischen Verdienste während der Balkan-Kriege bleiben jedoch unvergessen. Auch er wurde im neuen Jahrtausend ein Fan der Europäischen Union.
Serbische Einigkeit gegenüber dem Kosovo
Die zweite Kontinuität ist die offenbar unverrückbare Position der politischen Elite Serbiens zum Kosovo. Zwar tritt Präsident Vučić für einen Dialog mit dem Kosovo ein. Als unabhängigen Staat möchte er es jedoch nicht anerkennen. Lieber schiebt er solche Entscheidungen vor sich her, denn er weiß, dass auch Milošević mit dem Versprechen, "das serbische Kosovo" zu bewahren, politisch groß geworden ist. Und dass er nicht gestürzt wurde, weil er ein Kriegstreiber und Autokrat war, sondern vor allem, weil er nach dem verlorenen Krieg gegen die NATO das Kosovo aufgeben musste.
Inzwischen ist die Kosovo-Problematik gewissermaßen zweitrangig geworden. Die Jahre des demokratischen Umbaus mit allen bekannten Nebenwirkungen haben die Serben zermürbt. Die nationale Begeisterung ist verflogen. Da dieses Thema aber weiterhin zum wesentlichen Bestandteil serbischer Identität zählt, können entsprechende Emotionen jederzeit erneut geweckt werden.
Die dritte Kontinuitätslinie, die das heutige Serbien mit der Ära Milošević verbindet, bildet das "kumpelhaft-brüderlichen System", wie man die allumfassende Korruption in Serbien verniedlichend nennt. Fairerweise muss man feststellen, dass die Grundlagen für die strukturelle Korruption zwar unter Milošević gelegt wurden. Für den Wildwuchs der Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit sind aber zum größten Teil jene demokratischen Hoffnungsträger verantwortlich, die Milošević im Jahre 2000 stürzten.
Und noch etwas haben die Demokraten von Milošević übernommen: Die Partei ist im serbischen Alltag nach wie vor alles - die nährende Mutter, die Jobbörse und der Arbeitsvermittler, die kapriziöse Diva, deren Wünsche man erfüllt, weil man sonst mutterseelenallein bleibt. Entscheidend für den Zugang zu den staatlichen und privatwirtschaftlichen Töpfen ist bis heute die richtige Parteimitgliedschaft.
Gerundet wird das Bild durch die personelle Kontinuität in den Geheimdiensten - abgesehen von ein paar Köpfen, die nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Toran Đinđić rollten. Hinzu kommen die nie durchgeführte Lustration im öffentlichen Dienst sowie die Tatsache, dass alle Geheimdienstakten bis heute verschlossen sind.
Distanzieren hilft eigene Schuld verdrängen
Miloševićs Gefolgsleute sind rar geworden. Seit seinem Tod dient er vielmehr auch denen, die ihn einst gewählt und verehrt haben, als Projektionsfläche für Schuldzuweisungen. So können viele ihre eigene Verantwortung für die nationale Katastrophe von sich weisen. Dabei vergessen sie allzu gerne, dass Milošević kein Diktator, sondern ein plebiszitärer Autokrat war.
Frustrierend blieben für viele die viereinhalb Prozessjahre vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal: Milošević begegnete der ungenügenden juristischen Konsequenz und Kompetenz des Tribunals mit aggressiver Verteidigung und Arroganz. Die Beweisaufnahme war zum Zeitpunkt seines Todes weitgehend abgeschlossen. Umsonst, denn zu einem Urteil kam es nie. So konnte den Opfern seiner Politik aus dem ehemaligen Jugoslawien, aber auch aus Serbien selbst nie die ersehnte Gerechtigkeit widerfahren. Ein schweres Erbe für die Region.
Tröstlich ist es, dass das demokratische Serbien einen Schlussstrich unter Gewalt als Mittel der Politik gezogen hat. Doch ein Jahrzehnt nach dem Tod von Slobodan Milošević und 16 Jahre nach seinem Sturz sind die Folgen seiner Herrschaft beileibe noch nicht überwunden.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!