Und dann kam er doch noch: Der Moment, in dem Julian Draxler enttäuschte. Ein brillantes Spiel, mit genialen Dribblings, einer Torvorlage und einem Tor endete mit seiner zu Recht von Standing Ovations begleiteten Auswechselung. Bis hierhin alles Note 1, keine Frage. Doch als Draxler sich nach der Partie im Interview des Zweiten Deutschen Fernsehens den Fragen stellte, fiel seine Leistung plötzlich stark ab. Eben noch so kreativ auf dem Rasen, nun gähnend langweilig am Mikro: "Ich bin froh, dass ich der Mannschaft heute helfen konnte", wurde abgelöst von: "Ich wollte zeigen, dass ich eine Alternative bin und bin dankbar für das Vertrauen vom Bundestrainer." Standardphrasen aus der Grundschule des Fußballer-Medienbriefings. Noch mehr Beispiele gefällig? "Wie es im Fußball so ist: Der Trainer hat das Sagen." Ach, sag bloß. Artig lächelte Draxler den Fragesteller an, lobte das Team und wollte sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängen. "Sehr diplomatisch", fand das der Reporter - ein Euphemismus. Die reinste Phrasenschweinfütterung.
Gut, dass Draxler nicht fürs Reden bezahlt wird
Nur gut, dass Draxler nicht fürs Reden bezahlt wird, sondern für seine Arbeit am Ball. Und die war an diesem lauen Sonntagabend extraklasse. Von Beginn an zeigte er sich auf der linken (und etwas überraschend phasenweise auch auf der rechten) Außenbahn, zog Mal um Mal gefährlich nach innen, beschäftige gleich mehrere Gegenspieler, bediente Stürmerkollege Mario Gomez und war für die slowakischen Verteidiger kaum zu halten. Seine ebenso präzisen wie schwindelerregenden Dribblings zeugten von einem großen Selbstbewusstsein. Und genau dies war so gar nicht zu erwarten gewesen.
Denn Draxler hatte in den beiden ersten Spielen gegen die Ukraine und Polen enttäuscht. Er blieb blass, ungefährlich und wurde beide Male ausgewechselt - völlig zu Recht. Gegen die Nordiren saß er nur auf der Bank. Und dennoch zeigte Draxler schon in den Tagen vor dem Achtelfinale im Training eine klare Körpersprache: Selbstbewusst, locker und stets gut gelaunt präsentierte sich der 22-Jährige aus den Reihen des VfL Wolfsburg in den Einheiten auf dem Rasenplatz über dem Genfer See. Wenn ein junger und weitgehend turnierunerfahrener Spieler nach zwei schwachen Partien derart selbstbewusst auftritt, spricht dies einerseits für den Spieler. Andererseits aber auch für den Trainer.
Leistung wird belohnt - auch im Training
Joachim Löw hat wieder einmal das richtige Händchen, vulgo: Menschenkenntnis, bewiesen. Er forderte Draxler auf, "mutig zu spielen" und stärkte seinem jungen Spielgestalter immer wieder den Rücken. Verbal, aber auch mit Gesten im Training. Löw tat dies natürlich im Wissen, dass auch Mario Götze bisher nicht überzeugen konnte und er in Draxler eine Alternative brauchte. Sein Startplatz sei eine Folge seines "sehr guten Trainings", betonte Löw. Das Signal ist klar: Gute Leistungen werden belohnt, der Weg zurück in die Startelf ist auch nach mauen Auftritten möglich. Das Beispiel Draxler zeigt eben auch, wie wichtig solche Vertrauensbeweise für die Psyche der Spieler sind.
Denn Draxler überzeugte gegen die Slowakei plötzlich auf ganzer Linie, knüpfte wieder an seine starken Leistungen der EM-Vorbereitung an. Diese hatte er nach einhelliger Meinung der zahlreichen deutschen Fußball-Experten als klarer Gewinner abgeschlossen. Löw schenkt Draxler zu Recht das Vertrauen, auch wenn sein Name (noch) nicht so klingend ist wie der von Mario Götze. Der WM-Final-Siegtorschütze 2014 ist nach einer weiteren Saison ohne regelmäßige Spielweise zwar fit, aber ohne den nötigen Rhythmus. Ihm bleibt wohl wieder nur die Jokerrolle. Diese füllte er auch im WM-Finale von Rio de Janeiro aus – mit bekanntem Ausgang. Löws magische Worte von damals ("Jetzt zeig der Welt, dass du besser bist als Messi") sind längst Geschichte. Und ein weiterer Beweis dafür, welche Berge sein Vertrauen versetzen kann.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!