Und plötzlich war er da. Diese Woche hatte ich zwar nicht die erste, aber die bislang meine bewegendste Flüchtlingsbegegnung in diesem Sommer. Da stand am Rande des Fußballplatzes ein Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Irgendwie war er um den Zaun herumgeklettert und und sah uns zu. Ein, zwei Fragen meinerseits, schweigende Blicke seinerseits. Dann sagt er nur "Syria". Und gestikuliert mit seinen Fingern vor den großen Augen - er wolle doch nur zuschauen.
Deutschland hat bereits hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen, hunderttausende weitere folgen noch in diesem Jahr. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man auf Staaten wie Jordanien, die Türkei oder den Libanon schaut. Das ist viel, sehr viel, wenn man auf die Zahlen von Flüchtlingen in früheren Jahren oder auf andere europäische Staaten schaut. Die Menschen sind da, sie brauchen uns.
Unterstützung und Ablehnung
Flüchtlinge erfahren Unterstützung von tausenden, vielleicht auch zigtausenden ehrenamtlichen Helfern. Und vielen, die sich "von Berufs wegen" kümmern müssen: Polizisten, Sozialarbeiter, Behördenmitarbeiter, medizinische Fachkräfte. Viele von denen, die da in der Pflicht stehen, sind am Rande ihrer Kräfte. Doch an vielen Orten erfahren Flüchtlinge auch Ablehnung. Bei ihrer Ankunft werden sie von krakeelenden Demonstranten begrüßt.
Zugleich fällt auf: Die Zahl fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten ist im Osten Deutschlands weit überdurchschnittlich hoch. Bundesweit ereignete sich im Jahr 2014 fast jeder zweite registrierte Übergriff in Berlin und den fünf ostdeutschen Ländern. Dabei leben dort nur 17 Prozent aller Deutschen. So ist die rassistisch motivierte Gewalt dort drei Mal höher als im Rest der Republik.
Nicht nur, aber vor allem im Osten
Das heißt nicht, dass es in anderen Bundesländern keine fremdenfeindlichen Attacken gibt. In der jüngsten Serie der Brandanschläge auf Flüchtlingsquartiere, bei denen gottlob noch kein Mensch zu Schaden kam, wurden beispielsweise auch schon in Nordrhein-Westfalen oder in Bayern Häuser angezündet.
Aber die Wucht fällt auf, mit der in Teilen Ostdeutschlands Fremdenhass offen zutage tritt. Vor einer Reihe von Jahren entstand in dieser Region das, was wir heute als "Nationalsozialistischen Untergrund" kennen. Seine Mitglieder ermordeten zehn Menschen quer durch Deutschland. Vor knapp einem Jahr begannen in dieser Region die rechtspopulistischen Pegida-Demonstrationen, die nicht selten offener Pöbelei glichen. Vor wenigen Tagen dann brannte im Norden Ostdeutschlands die Scheune eines Ehepaares, das sich in einem längst braunen Dorf seit Jahren mutig Neonazis entgegenstellt und dafür bundesweit bekannt ist.
Der Staat steht in der Pflicht
Ostdeutschland steht in der Pflicht. Die Politik steht in der Pflicht. Der Staat muss Bürger und Flüchtlinge schützen. Und er muss jene schützen, die sich für bedrohte Menschen einsetzen. Es ist empörend, wie lange die sächsische Landesregierung brauchte, bis sie entschieden das Wort erhob gegen fremdenfeindliche Demonstrationen und Übergriffe, bis sie vor Ort auftauchte in Flüchtlingsquartieren.
Die Häufung der Übergriffe wirkt auch als Mahnung: In wenigen Monaten steht der 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung an. Dann wird wieder viel die Rede sein von "Erfolgsgeschichte" und "Angleichung der Lebensverhältnisse". Aber es zeigt sich, dass die Kräfte der sogenannten Zivilgesellschaft in Ostdeutschland eben nicht so stark sind wie im Westen. Soziale Organisationen und Verbände, bürgerliche Vereinigungen, Kirchengemeinden - diese Kraft fehlt im Osten.
Um so mehr muss Politik wachsam sein. Denn die Herausforderung, vor der die Flüchtlinge das Land stellen, wird noch größer werden. Da steht ganz Deutschland in der Pflicht, auch der Osten.