Das Gedenk-Konzept, die Vertreter der beiden wichtigsten involvierten Institutionen in einem offenen Brief an den Bundestagspräsidenten vorgeschlagen haben, ist ein klassischer Kompromiss. Und damit eine gute Lösung.
Zum einen soll am eigens so umzubenennenden "Platz des 1. Septembers 1939" in Berlin ein Denkmalensemble entstehen, das an den deutschen Überfall auf Polen und Beginn des 2. Weltkrieges erinnert. Gleich daneben will man zum anderen ein Bildungs- und Begegnungszentrum errichten, in dem das Schicksal der Opfer aller Nationalitäten sowie die grundsätzliche Grausamkeit des Vernichtungskrieges im Osten dokumentiert werden sollen. Damit wird der Bedenken mancher Politikerinnen und Politiker Rechnung getragen, die Beschränkung auf polnische Opfer bedeute eine "Nationalisierung" des Gedenkens und wecke berechtigte Ansprüche anderer Nationen und Opfergruppen auf ebenfalls separates Gedenken.
Prozentual die höchsten Verluste
Beide Standpunkte sind nachvollziehbar. Denn Polen hat mit sechs Millionen Toten seiner damals rund 35 Millionen Staatsangehörigen prozentual die höchsten Verluste unter den von Hitler-Deutschland besetzen Staaten erlitten. Unter diesen Opfern befanden sich drei Millionen und damit fast alle polnischen Juden, aber eben auch - was in der deutschen Öffentlichkeit weniger bekannt ist - drei Millionen nicht-jüdische Polen, die überwiegend nicht bei Kriegshandlungen ihr Leben verloren. Die polnischen Eliten wurden gezielt dezimiert, das Land, allem voran die Hauptstadt Warschau, komplett in Schutt und Asche gelegt. Damit verdient Polen, das am längsten unter dem deutschen NS-Regime leidende Opfer des Zweiten Weltkrieges, ein herausragendes Andenken.
Aber auch das gehört zur historischen Wahrheit: Deutschland hat Polen nicht allein überfallen. Denn wie im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vereinbart, besetzte die Rote Armee wenige Tage nach dem deutschen Angriff den östlichen Teil Polens und richtete dort ein stalinistisches Terror-Regime ein. Aus diesem Grund wäre ein Denkmal, das den Opfern der Polen und Sowjets gleichermaßen gedenkt, für die Polen inakzeptabel. Genauso inakzeptabel wäre allerdings ein Gedenkort, der die 24 Millionen Opfer der Völker der damaligen Sowjetunion (Russen, aber eben auch Ukrainer, Weißrussen und Balten) außer Acht ließe.
Der vorgeschlagene Kompromiss ist umso bedeutsamer, weil die Bundesregierung noch bis vor wenigen Jahren behauptet hat, es gäbe in Berlin bereits zu viele Denkmäler. Und aller Nationalitäten und Opfergruppen des Nationalsozialismus zu gedenken wäre ohnehin unmöglich. Man wolle schließlich keine Konkurrenz unter den Opfern fördern. Das klingt zwar logisch, ist aber falsch.
Gruppenspezifisches Gedenken
Denn genau diesen Weg des gruppenspezifischen Gedenkens der NS-Opfer hat die deutsche Politik schon seit langem eingeschlagen: Es begann mit dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, es folgten eigene Denkmäler für Sinti und Roma, für Homosexuelle sowie die systematisch getöteten Behinderten. Noch dazu gibt es aus DDR-Zeiten in Berlin Denkmäler für die sowjetischen Befreier Deutschlands und sogar eines für die 'polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten im Zweiten Weltkrieg' - so sein offizieller Titel. Die Errichtung eines Gedenkorts, der an den Überfall auf Polen und die anderen Völker im Osten Europas erinnert, gegen die - anders als in Westen - ein brutaler Vernichtungskrieg geführt wurde, ist daher nur ein konsequenter und längst überfälliger Schritt.
Denn zu Recht kann man fragen: Warum hat es eigentlich nach dem Ende von Hitlers Schreckensregime ganze 60 Jahre gedauert, bis man den Opfern des Holocausts in Berlin ein Denkmal setzte? Und nun noch einmal 15 Jahre, bis man jetzt endlich den Polen sowie den anderen Opfern des barbarischen Vernichtungskrieges im Osten gedenken will? Das Wort 'Denk-mal' hat es in sich. Die Ideengeber des Projektes verweisen darauf, dass weniger die Opfer, als vielmehr die Deutschen selbst dieses Denkmal brauchen: als Erinnerung und Schuldeingeständnis der Vergangenheit, aber vor allem auch als Mahnung für die Zukunft.