Der "Grexit" im Wahlkampf
7. Januar 2015"Das Linksbündnis Syriza wird Griechenland aus der Eurozone katapultieren und aus dem Land ein zweites Nordkorea machen!" Diese Aussage stammt nicht von jemandem, der sich an der in den vergangenen Tagen insbesondere in Deutschland heftig geführten Debatte über den "Grexit" beteiligt hätte, sondern vom konservativen Ministerpräsidenten Griechenlands, Antonis Samaras. "Wir werden dem Verbrechen der Austerität gegen das griechische Volk ein Ende setzen", kontert der charismatische Volkstribun und Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras. In Griechenland tobt inzwischen ein kurzer und unnachgiebiger Wahlkampf. Und die südeuropäische Politik kennt keine Tabus, wenn es um Macht geht.
In Deutschland hat ein "Spiegel"-Bericht vom vergangenen Wochenende über die angebliche Bereitschaft Berlins, Griechenland aus dem Euroraum zu entlassen, falls sich nach den Parlamentswahlen am 25. Januar eine gegenüber den Geldgebern aufmüpfige linke Regierung bildet, zu einer hitzigen Debatte geführt. Viele warnen vor voreiligen, negativen Zukunftsszenarien für Griechenland und die gesamte Eurozone. Dabei liegen, wie die Wahlkampf-Äußerungen belegen, die Ursprünge der "Grexit"-Debatte in Athen - hier wurde zum ersten Mal über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone diskutiert. Wieder einmal haben es die Griechen dem Rest der Welt vorgemacht!
Die Linken versuchen, die Debatte zu ignorieren
Unter anderen Umständen - wie zum Beispiel während des jüngsten Wahlkampfes im Jahre 2012 - hätten solche Warnungen aus Berlin den griechischen Stolz gravierend verletzt und wären als unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates gebrandmarkt worden. Damals stand Griechenland am Rande einer nationalen Katastrophe und das politische System war ins Wanken geraten.
Heute sieht es anders aus. Athen hat erste Erfahrungen mit Koalitionsregierungen gesammelt. In der aktuellen Regierung arbeiten sogar ehemalige Erzfeinde zusammen: die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok. Gleichzeitig zeigen die von den internationalen Geldgebern auferlegten Reformen erste positive Ergebnisse. Nun glaubt die griechische Politik, wieder die Fäden in der Hand zu haben. Deshalb sieht man die deutsche "Grexit"-Debatte viel gelassener. Die Konservativen bleiben ruhig, weil die Debatte ohnehin ihre eigenen Schreckensszenarien unterstützt. Die Linken versuchen sie zu ignorieren, um die Wähler nicht abzuschrecken. Syriza-Vertreter treten in diesen Tagen bei Podiumsdiskussionen auf und zitieren wohlwollende Kommentare der ausländischen Presse zum möglichen Triumph ihrer Partei.
Fehlende Strategie
Umfragen zufolge ist die große Mehrheit der Griechen zwar gegen die vorgezogenen Wahlen. Trotzdem haben die Hauptkontrahenten, die konservative Nea Dimokratia und die linke Syriza, diesen Schritt herbeigeführt: Das Linksbündnis hat von Anfang an die Präsidentenwahl im griechischen Parlament als Mittel betrachtet, um die Regierung zu Fall zu bringen. Die Konservativen haben diese Wahl vorgezogen, um nicht den bald fälligen und höchstwahrscheinlich negativen Abschlussbericht der Troika zum Fortschritt der vereinbarten Reformen zu riskieren. Gleichzeitig hat Samaras lediglich einen der Nea Dimokratia treuen Präsidentschaftskandidaten vorgeschlagen, der auf keinen Fall auf die Stimmen der Opposition hoffen konnte.
Wenn es um taktische Manöver geht, kann man den führenden griechischen Parteien keinen Mangel an Phantasie vorwerfen. Doch was ihnen fehlt, ist eine realistische und belastbare Strategie für die Zukunft. Die aktuelle Strategie klingt auch heute, fünf Jahre nach der praktischen Insolvenz des Landes, immer noch wie Wunschdenken, das weit vom politischen Alltag in Athen entfernt ist: ein Minimalkonsens über die notwendigen Schritte für die Rettung Griechenlands, ein endgültiges Bekenntnis zu den Regeln der Eurozone, eine radikale Reform des öffentlichen Sektors und ein längerfristiger Plan zur Steigerung der Produktivität.