Der Nahe Osten am Wendepunkt?
19. November 2014Die Eskalation in Jerusalem hat einen Punkt erreicht, der allen deutlich machen muss: Mit Gewalt darf der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern keinen Tag länger ausgetragen werden. Das gilt für alle Seiten. Der Anschlag ausgerechnet auf eine Synagoge lässt zudem fürchten, dass die politischen und territorialen Probleme ganz unlösbar werden, wenn nun ein religiöser Konflikt beginnt, alles zu überlagern.
Die Morde in der Synagoge im Jerusalemer Viertel Har Nof sind brutal und sinnlos. Palästinensische Gruppen wie Hamas haben versucht, das Attentat als Kampf gegen die israelische Besatzung zu glorifizieren. Das ist unmöglich! Mord ist kein menschliches Verhalten, sagt US-Außenminister Kerry und er hat recht damit.
Der Ruf nach Rache von beiden Seiten
Die Statements zur Rechtfertigung sind allein Beweis dafür, wie brutal und entmenschlicht der Konflikt in Nahost inzwischen geworden ist. Die Rufe nach Rache und Kollektivstrafe für Palästinenser durch rechte jüdischen Israelis sind ein weiterer Beleg.
Nichts davon kann die gegenwärtige Lage beruhigen. Die größte Verantwortung trägt in dieser aufgeheizten Stimmung die Politik. Aber sie versagt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu macht den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas für den Anschlag verantwortlich. Abbas hetze gegen Israel, er habe zu einem Tag des Zorns aufgerufen und damit Attentäter ermutigt. Wirtschaftsminister Naftali Bennet nennt Abbas sogar einen der größten palästinensischen Terroristen. Das ist ein innenpolitischer Kampf um das rechte Wählerlager - mehr nicht.
Die Vorwürfe entsprechen nicht einmal nach israelischer Einschätzung der Realität. Der Chef des israelischen Geheimdienstes Shin Bet mahnt zur Umsicht: Präsident Abbas rufe nicht zum Terror auf, widerspricht der Geheimdienstler seiner politischen Führung. Der palästinensische Präsident hat den Anschlag von Jerusalem verurteilt. In einer zweiten Stellungnahme stellte er sich gegen Morde an Zivilisten ganz generell - wer immer sie verübt.
Aber auch Abbas muss sich fragen lassen, ob der Aufruf, die Al-Aksa-Moschee um jeden Preis zu verteidigen, die Lage beruhigen konnte. Hatte der Präsident tatsächlich Sorge, Israels Hardliner-Regierung könnte das Heiligtum neu aufteilen? Oder wollte Abbas den israelischen Regierungschef Netanjahu auf Knien nach Amman in Jordanien robben sehen?
Netanjahu wie Abbas stehen unter Druck
Auf beiden Seiten scheint der innenpolitische Druck das Tagesgeschäft zu bestimmen. Für mehr reicht auch die politische Kraft nicht aus. Israels Regierungschef Netanjahu hat alle Brücken abgebrochen - zu Palästinensern und Verbündeten. Es gibt keinen politischen Gesprächsfaden, den er wieder aufnehmen könnte. Auch wenn US-Außenminister John Kerry so sehr auf das Gegenteil hofft. Und der palästinensische Präsident kämpft darum, im Gaza-Streifen die Kontrolle von der dominierenden Hamas zu übernehmen. Bevor junge, wohl auch radikalere Kräfte nach seiner Macht greifen.
Im Kern haben Israelis und Palästinenser ein gemeinsames Interesse: Ein Leben in Sicherheit. Doch dieses Ziel können beide Seiten nur gemeinsam erreichen - über einen Ausgleich. Doch gegenwärtig weist der Weg in eine komplett andere Richtung. Nur die Politik kann einen weiteren Abstieg noch aufhalten!
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