Lebensmittelkrise
14. April 200833 Staaten könnten wegen der hohen Lebensmittelpreise von sozialem Chaos und politischen Unruhen heimgesucht werden; 100 Millionen Menschen könnten ins Elend abrutschen. Weltbank-Präsident Robert Zoellick warb bei den reichen Staaten, 500 Millionen Dollar für Hilfsaktionen des Welternährungsprogramms bereitzustellen. Während sich die Menschen in den reichen Ländern Sorgen machen, wie sie künftig ihren Autotank füllen können, haben mehr und mehr Menschen in den armen Ländern schon heute das Problem, ihren Magen zu füllen. Ja, auch die gestiegene Umwandlung von Nahrungsmitteln in Bio-Sprit trägt zur akuten Ernährungskrise bei. Aber das ist nicht der einzige Grund. Durch die anhaltende Bevölkerungszunahme sind Jahr für Jahr über 80 Millionen Menschen mehr zu ernähren; bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung um die Hälfte auf dann neun Milliarden Menschen zunehmen. Über 90 Prozent der neuen Erdenbürger werden in der Dritten Welt geboren, wo heute schon 850 Millionen Menschen nicht genug zu essen haben; Tag für Tag sterben Zigtausende den Huntertod. Das müßte nicht sein.
Hunger ist nicht naturgegeben- es mangelt an politischem Willen
Die Ursachen der Ernährungskrise liegen – abseits von Naturkatastrophen – in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fehlentwicklungen. In immer mehr Ländern kommt es deswegen zu Hungerrevolten. Dabei ist die Erde fruchtbar genug, um deutlich mehr als die heute lebenden Menschen zu ernähren. Fehlernährung, massenhafter Hunger und Hungertod sind nicht naturgegeben. “Das Problem ist nicht so sehr ein Mangel an Nahrungsmitteln als vielmehr ein Mangel an politischem Willen”, hat die die Welternährungs-organisation der Vereinten Nationen bereits vor zwanzig Jahren festgestellt. Das ist heute nicht anders. Ein Fünftel der Menschheit fristet von weniger als einem Dollar pro Tag ein elendes Leben. Es sind diese Menschen, die sich abends mit hungrigem Magen schlafen legen, die mangel- oder fehlernährt sind und dem Hungertod zum Opfer fallen. Überall dort, wo auf breiter Front Arbeitsplätze geschaffen werden und dadurch kaufkräftige Nachfrage entsteht, geht der Hunger zurück. Die wichtigste Einzelmaßnahme zur Lösung des Hungerproblems besteht darin, Beschäftigungsmöglichkeiten und Einkommen zu schaffen. Das ist richtig, aber nur ein Teil der Wahrheit.
Einfuhrpreise wurden um ein Viertel teurer
Die aktuelle Nahrungsmittelkrise, die in zahlreichen Ländern zu Hungeraufständen geführt hat und über die in Haiti die Regierung gestürzt ist, hat auch mit der globalen Inflation der Lebensmittelpreise sowie der Umlenkung der Handelsströme zu tun. Die kaufkräftige Nachfrage in den Schwellenländern wird zum Teil durch den Anstieg der Nahrungsmittelimporte bedient. Hinzu kommt, dass auf immer mehr landwirtschaftlich genutzten Flächen Agrarrohstoffe für die Umwandlung in Bio-Sprit angebaut werden. Im Ergebnis mußten die ohnehin armen Entwicklungsländer im vorigen Jahr für ihre Nahrungsmitteleinfuhren ein Viertel mehr ausgeben als im Jahr davor. Der Preis für Mais hat sich in zwei Jahren verdoppelt und in Mexiko zu einer Tortilla-Krise geführt. Weizen ist so teuer und so knapp wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. Der Preis für Reis hat sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Dabei sind weitere Preissteigerungen absehbar, die zu Lasten der ärmsten Bevölkerungsschichten gehen werden. Denn in den Schwellenländern nimmt der Nachfrage nach hochwertigen Nahrungsmitteln überproportional zu, was dazu führt, dass ein stark zunehmender Anteil an Getreide als Futtermittel für die Fleischproduktion eingesetzt wird. Die Reichen dieser Welt genießen ihren Luxus zum Teil zu Lasten der Armen.
Der Wohlstand eines zunehmenden Teils der Weltbevölkerung ist eine der Ursachen für den Hunger in der Welt.
Unfaire Handelsbarrieren haben tödliche Folgen
Die Inflation der Nahrungsmittelpreise, die auch in den Industriestaaten zu spüren aber dort alles in allem verkraftbar ist, hat aktuell für die Armen dieser Welt tödliche Konsequenzen. Doch langfristig kann die Preissteigerung für die armen Länder von Vorteil sein. Bedingung dafür ist, dass die Industriestaaten ihren unseligen Agrarprotektionismus beenden und ihre Märkte für Einfuhren aus der Dritten Welt öffnen. Denn bei der Erzeugung von Agrarrohstoffen sind Entwicklungsländer wettbewerbsfähig, doch leider stoßen sie beim Export dieser Güter auf unfaire Handelsbarrieren der Industriestaaten, die damit ihre Bauern schützen. Jetzt ist die Gelegenheit, diesen Frevel zu beenden.
Nahrungsmittelspenden sind keine Dauerlösung
Natürlich muß den akut Hungernden geholfen werden, doch um eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen sollten die Industriestaaten ihre Märkte für die Agrarerzeugnisse von Entwicklungsländern öffnen und darüber zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen in der Dritten Welt beitragen. Dann könnten sich dort mehr Menschen Nahrungsmittel kaufen und ihren Hunger stillen. Wo nämlich eine kaufkräftige Nachfrage besteht, gibt es schon bald ein entsprechendes Angebot. Die Armen und Hungernden dieser Welt brauchen Nahrungsmittelhilfe, aber in Wirklichkeit brauchen sie Arbeitsmöglichkeiten und faire Handelsbedingungen.