Das Wort "Flüchtlinge" - es fällt kein einziges Mal in der Rede von Papst Franziskus. Was will er uns damit sagen? Wird er seiner Mahnerrolle in der Flüchtlingskrise untreu? Nein - Franziskus, der Träger des Internationalen Karlspreises 2016, will mehr. Er will etwas anderes. Er ruft in seinem Dank für die Auszeichnung, einer großen Rede, Europa zu einem "neuen europäischen Humanismus" auf.
Zum Thema Flüchtlinge und ihrer Aufnahme in Europa wurde in Rom schließlich so vieles gesagt. Von jedem der drei Laudatoren Martin Schulz, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, auch schon von Matteo Renzi und Angela Merkel am Vortag. Franziskus hält es da eher mit dem konkreten Handeln, zuletzt mit seinem Besuch auf Lesbos, und zeigt so, wie Europa, wie die europäische Politik eben nicht handelt.
Migrantsein darf kein Verbrechen sein
Und doch kam in der visionären Schau des Franziskus das heikle Thema vor. Zu seinem Traum von einem "neuen europäischen Humanismus" gehörte auch der Satz "Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist." Hat der Papst schon diesen Eindruck - dass Migranten in Europa wie Verbrecher dastehen?
Da sprach der Papst als, wie er selbst sagt, "Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat". Dessen Eltern einst auszogen aus der europäischen Armut des Piemont. Deren Sohn hat das nicht vergessen und schwärmt mitten in der Rede fast hymnisch von dem, was ihm Europa ist: Verfechterin von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit, Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern. Europa, du Mutter von Völkern und Nationen - "was ist mit Dir los, Europa?" Wann zuletzt hat dieses gutbürgerliche Karlspreis-Aachen eine solche Dankesrede - jung und fast wütend, voller Bewunderung und Ermutigung und in gewisser Weise auch revolutionär im Sinne eines Träumers - geboten bekommen? Lange nicht.
Papst Franziskus gliederte seine Rede mit den Begriffen "Integration, Dialog, Kreativität". Da wurde er sehr realpolitisch. Und er hat Europa zum Beispiel noch einmal daran erinnert, was gerade passiert mit Millionen von Jugendlichen vor allem im Süden des Kontinents, die keine Ausbildung, keinen Job und keine Perspektiven haben. Wie unwürdig das ist.
Der Papst wirbt für Europa
Einen einzigen Autor zitiert der Karlspreisträger in seiner Rede ausdrücklich: den im polnischen Kattowitz geborenen Jesuiten Erich Przywara (1889-1972) und sein Werk "Idee Europa". Franziskus empfiehlt das Buch auch sonst gelegentlich. Die Idee Europa - eines in Polen geborenen Jesuiten.
Das lässt an den bemerkenswerten Beitrag von Donald Tusk denken, dem Präsident des Europäischen Rates und früheren polnischen Regierungschef. Als letzter Laudator vor dem Papst redet er stolz von seinem Polen. Stolz und weise. Aber jeder, der verstehen will, versteht: "Polen ist und bleibt in Europa. Das steht außer Frage."
In gut zehn Wochen ist Franziskus einige Tage beim Weltjugendtag in Polen zu Gast, diesem so katholischen Land, das sich nun - und nicht nur - bei der Aufnahme von Flüchtlingen so sperrt. Eine Rede wie die heutige aus der Sala Regia des Apostolischen Palastes, gehalten vor den Toren Krakaus an die Jugend der Welt - das könnte Polen genauso erschüttern, wie einst das "Habt keine Angst" des inzwischen heilig gesprochenen Johannes Paul II. das damalige kommunistische System erschüttert hat. Franziskus glaubt an Europa. Er wirbt für dessen Ideen. Er sollte auch darum kämpfen.
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