Kommentar: Deutschland schadet sich mit seiner Haltung
9. August 2006Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Beziehung zu Israel. Sicherlich auch deshalb ließ Angela Merkel keine Zweifel an ihrer fast uneingeschränkten Solidarität mit Israel aufkommen: Die Kanzlerin erinnerte uns an den Auslöser der aktuellen Zuspitzung im ohnehin instabilen Nahen Osten; und sie mahnte die Olmert-Regierung, auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu achten - gleichzeitig forderte sie, die Hisbollah müsse zuerst die entführten israelischen Soldaten freilassen und den Raketenbeschuss auf Israel einstellen, bevor es zu einem Waffenstillstand kommen kann - ein Freibrief für die israelische Kriegsführung.
Kein Gespür für die arabische Welt
Im Gegensatz zum ehemaligen Bundeskanzler Schröder, der ein ausgeprägtes Gespür für die Bedeutung der deutsch-arabischen Beziehungen zeigte und große Anstrengung unternahm, sie zu vertiefen, zeigt seine Nachfolgerin kein nennenswertes Interesse daran. Merkels Positionen zum Krieg im Nahen Osten lassen auf eine Indifferenz gegenüber der Bedeutung und Besonderheit der deutsch-arabischen Beziehungen schließen.
Die Ablehnung des völkerrechtswidrigen Irakkriegs 2003 durch die rot-grüne Regierung verlieh Deutschland einen neuen Nimbus als neutraler Akteur - nicht nur in der arabischen Welt. Darüber hinaus reiste Schröder zu Staatsbesuchen in eine Vielzahl von arabischen Ländern, insbesondere in die Golfstaaten. Daraus ergaben sich nicht nur viele Handels- und Investitionsverträgen mit deutschen Firmen - die Besuche führten auch zu einer Annäherung der Sichtweisen auf den Nahost-Konflikt.
Merkels Distanz zu Europa
Obwohl der neue Koalitionsvertrag Kontinuität in der bisher verfolgten Nahost-Politik vorsieht, verfolgt Merkel einen an Bush und Blair orientierten Nahostkurs. Dies führte zur Abschwächung der deutsch-französischen Achse und folglich auch der EU. Die EU erscheint in den heutigen Tagen auf der weltpolitischen Ebene als Akteur schwächer denn je - insbesondere in der Nahost-Politik.
Seit Merkels Amtseintritt nähert sich ihre Position zum Nahen Osten mehr und mehr der Washingtons an. Mit dem Ausbruch des Krieges im Libanon zeigte sich diese Ausrichtung deutlicher denn je. In ihrem ersten Kommentar zum Krieg wiederholte sie Bushs Aussage über Israels Recht zur Selbstverteidigung - ohne zu betonen, dass Zivilisten nicht getötet, dass die euro-arabischen Beziehungen keinen Schaden nehmen dürfen. Während die EU-Außenminister versuchten, sich über eine Erklärung zu einigen, die einen sofortigen Waffenstillstand fordert, unterstütze Außenminister Frank-Walter Steinmeier London und forderte lediglich die Einstellung der Kämpfe.
Diskrepanz zwischen Eliten und Volksmeinung
Die öffentliche Meinung entfernt sich mit der steigenden Klarheit über das Ausmaß der durch die israelische Bombardierung verursachten menschlichen Katastrophe von Merkels Standpunkt. Auch die Zahl der Politiker, die Israels Vorgehen kritisch sehen, steigt. Darunter ist die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, die der israelischen Regierung Verstöße gegen das Völkerrecht vorwarf. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer, verlangte, Israel müsse bei Verstößen gegen die Genfer Konventionen - die im Libanon und im Gaza-Streifen vorlägen - wie andere Länder auch behandelt werden. Schäfers Position teilen Dutzende von Vertretern und Politikern, die in erster Reihe der Opposition und der SPD angehören.
Schaden für die Deutschen Interessen
Der Standpunkt der politischen Führung steht nicht nur im Gegensatz zur öffentlichen Meinung, er schadet auch dem guten Ruf Deutschlands in der arabischen Welt - und gefährdet deutsche Interessen in der Region. Diese Interessen sind heute wichtiger denn je, da sie nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geographische und geschichtliche Dimensionen haben. Gleichzeitig schwächt die Annäherung der deutschen Position an die Großbritanniens und der USA die EU und hindert ihre Versuche, eine einheitliche Außenpolitik im Nahen Osten zu entwickeln.
Der in Syrien geborene Dr. Ibrahim Mohammed ist Leiter der arabischen Online-Redaktion von DW-WORLD. Er arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Journalist in Deutschland.