Eine Fahrt mit der öffentlichen Fähre über den Großen Wannsee zum Ortsteil Kladow, einem beliebten Wochenend-Ausflugsziel in Berlin - endlich wieder möglich. Maximal 150 Menschen dürfen an Bord, klärt ein Schild auf. Es herrscht natürlich Maskenzwang. Sind alle an Bord, ist das Schiff knallvoll. Dicht an dicht sitzen die Menschen, von Abstand kann keine Rede sein, dafür tragen alle ganz diszipliniert die Masken. Es wird getuschelt, fragende Blicke werden ausgetauscht. Alles richtig so? Geht so, würde ich sagen.
Geht gerade so - das war das beherrschende Gefühl an diesem Wochenende in Deutschland. Jedenfalls beim großen Teil der Bevölkerung, die nicht - wie eine laute Minderheit - meint, das Virus sei eine Erfindung oder eine Gemeinheit einer weltbeherrschenden Klasse, die uns alle peinigen will. Womit am Ende immer noch und stets wieder die Juden gemeint sind. Diese Verschwörungstheoretiker gibt es auch, sie haben etwa in Stuttgart und München wieder demonstriert und fordern die Beachtung ihrer Grundrechte. Solche Parolen kommen oft von den Rändern - dort, wo Grundrechte sonst im Allgemeinen wenig zählen. Aber wie soll es auch anders sein: Schon während der Flüchtlingskrise und danach haben diese Menschen keine Gelegenheit auszulassen, gegen die Demokratie zu wettern, jetzt tun sie es eben auch bei Corona. Das muss die Gesellschaft wohl aushalten.
Zögerlich Richtung Lockerungen
Aber hört man den Menschen zu - in der S-Bahn, beim Einkaufen mit Maske -, dann sagen auch grundlegend friedliche Menschen, dass sie vieles inzwischen nicht mehr verstehen. Wahlweise ist die Pandemie in diesen Erzählungen schon vorbei oder aber wir stehen erst am Anfang einer Apokalypse. Die Einigkeit großer Teile des Gesellschaft vom Beginn der Kontaktsperren scheint jedenfalls dahin. Wenn überhaupt, sind die Skeptiker in der Mehrheit, die meinen, dass zu schnell gelockert wurde. Dazu passen die besorgten Meldungen von Virologen, die seit einigen Tagen wieder von steigenden Infektionszahlen berichten.
Die Restaurants, die jetzt schon geöffnet haben, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, bestätigen dieses Gefühl: So richtig kommt keine Stimmung auf, wenn der Kellner eine Maske trägt und die Speisekarte erst einmal desinfiziert werden muss. Die Menschen bleiben zögerlich, die Gäste rar - die meisten trauen dem Frieden nicht.
Der Gedanke drängt sich auf von der Parallelität zweier eigentlich grundverschiedener Ereignisse: der Aufnahme vieler Flüchtlinge 2015 und der Pandemie. Auch damals, vor fünf Jahren, war die Bereitschaft erst einmal groß, der Kanzlerin und ihrer überraschend liberalen Flüchtlingspolitik zu folgen. Bald aber wurden die Dinge schwieriger. Heute sind Deutschland und Europa im Grund fest abgeschottet gegen Migranten. Jetzt, in der Corona-Krise: Erst große Einigkeit, dass es besser ist, zuhause zu bleiben. Doch inzwischen zerbricht dieser Konsens langsam aber sicher.
Es gibt keinen langfristigen Plan
Fürs Erste schlingern wir jetzt durch die Pandemie. Kaum auszumalen, wie das gehen soll, wenn in einzelnen Regionen die Beschränkungen wieder verschärft werden müssen, weil die Neuinfektionen die kritische Marke übersteigen. Was die Politik jetzt leisten müsste, ist fast nicht zu stemmen: Einen Plan präsentieren, wie wir mit dieser Pandemie umgehen, die noch lange, vielleicht ein Jahr oder länger dauern wird. Eine Politik, die Maßnahmen korrigiert und von Ort zu Ort, von Region zu Region unterschiedlich handelt.
Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs Ministerpräsident von den Grünen, hat es am Wochenende treffend beschrieben: Es ist ein Paradoxon der Politik, dass eine erfolgreiche Maßnahme sich selbst abschafft. Die Kontaktsperren und das Einfrieren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens haben gewirkt, jetzt wird gelockert. Ausgang ungewiss. Erst jetzt wird so richtig klar: Masken und Abstand, Home-Office und Reise-Beschränkungen werden noch lange unsere Begleiter bleiben.