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Die Asyllüge

15. Juni 2015

Nicht allein Armut ist der Grund für Flucht und Vertreibung, sondern vor allem Kriege und Terror. Entwicklungshilfe kann deshalb Diplomatie nicht ersetzen. Politiker sollten dies eingestehen, meint Astrid Prange.

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Flüchtlinge Grenzgebiet Türkei Syrien
Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Es war einmal ein politisches Märchen. Es trug sich zu im ach so beschaulichen Bonn. Politiker erzählten es jeden Abend im Fernsehen. Sie wollten Flüchtlingen helfen, sagten sie, mit viel Geld. Sie wollten Flüchtlinge besuchen in ihren Heimatländern, Schulen bauen, Krankenstationen gründen und Trinkwasserleitungen verlegen. Sie wollten Frieden und Versöhnung bringen.

Seit über 20 Jahren erzählen Politiker nun schon dieses Märchen. Es trägt den Titel "Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen" und führte am 23. Mai 1993 zur massiven Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl, das im Artikel 16 des deutschen Grundgesetzes verankert ist. Auch sozialdemokratische Abgeordnete glaubten daran. Sie stimmten damals im Bundestag für den umstrittenen Asylkompromiss.

Entwicklungshilfe verhindert keine Kriege

Das Märchen fand ein böses Ende. Der jüngste Flüchtlingsreport von Amnesty International entlarvt die politische Träumerei als Flüchtlingslüge. Denn trotz wachsender Etats für die internationale Zusammenarbeit befinden sich 50 Millionen Menschen auf der Flucht - die höchste Zahl seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Es ist offensichtlich: Globale Flüchtlingskrisen lassen sich nicht mit Geld zur Bekämpfung vermeintlicher Fluchtursachen in Krisengebieten verhindern. Weder der jetzige Krieg in Syrien noch die Balkankriege der 90er Jahre mit den Massakern in Bosnien und im Kosovo wären mit internationaler Unterstützung für Hilfsprojekte und wirtschaftliche Entwicklung zu verhindern gewesen.

Astrid Prange De Oliveira Kommentarbild App
DW-Redakteurin Astrid Prange

Natürlich ist es deutschen Ministern nicht zu verübeln, wenn sie mit großen Worten wie Frieden, Terrorprävention oder Freiheit für den Etat ihres Hauses werben. Es ist ja auch richtig, dass wachsende Entwicklungshilfeetats fundamental sind, um weltweit Armut zu verringern, Bildungschancen zu verbessern und die Infrastruktur in Entwicklungs- und Schwellenländern auszubauen. Doch es ist vermessen anzunehmen, dass Entwicklungshilfe allein für Frieden und Sicherheit sorgen könne. Die Erfahrung zeigt, dass sie Friedenprozesse unterstützen, aber eben die politischen Voraussetzungen dafür nicht schaffen kann.

Waffen für Diktatoren

Es ist deshalb unverantwortlich, wenn Politiker in Deutschland immer wieder behaupten, mit zusätzlichem Geld könne man die Fluchtursachen in Krisenländern bekämpfen. Mehr noch: Das entwicklungspolitische Märchen verschleiert zudem den Blick auf wirklich wichtige Maßnahmen und trägt somit dazu bei, die dringende Debatte über Flüchtlingspolitik zu verhindern und unbequeme Fragen unbeantwortet zu lassen.

Warum zum Beispiel kommen bei einem Spendenaufruf der Vereinten Nationen für den Libanon nur 18 Prozent der notwendigen Gelder zusammen, obwohl das kleine Nachbarland von Syrien mit nur knapp sechs Millionen Einwohner sage und schreibe 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat? Oder warum liefert Deutschland Waffen an das Königreich Saudi-Arabien, obwohl das Land im Syrien-Krieg mitmischt?

Hilfe ist Gebot der Humanität

Diktatoren wie Sudans Präsident Omar Hassan Ahmad al-Baschir oder Syriens Präsident Baschar al-Assad kommt diese mangelnde politische Kohärenz gelegen. Auch in Simbabwe, Saudi-Arabien, Russland und China gehört das Spiel der Verdrängung und Verfolgung zum politischen Repertoire, wie die Blockade im UN-Sicherheitsrat zeigt.

Doch die politische Märchenstunde ist vorbei. Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer sowie vor den Küsten Indonesiens und Malaysias lassen keine Verdrängung mehr zu. Deutschland und Europa müssen sich zu einer gemeinsamen, humanitären Flüchtlingspolitik durchringen. Nicht nur, um Menschenleben zu retten, sondern auch, um sich von menschenverachtenden Regimen zu unterscheiden. Denn Werte müssen in der Wirklichkeit verteidigt werden, und nicht im Märchen.