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Die politische Berlinale

Jochen Kürten
Jochen Kürten
15. Februar 2018

Das größte deutsche Filmfestival hat es schwer: Es soll nicht nur gute Filme zeigen, sondern ist auch für politische und gesellschaftliche Botschaften zuständig. Das ist Segen und Fluch zugleich, meint Jochen Kürten.

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Pressekonferenz zur 68. Berlinale
Berlinale-Direktor Dieter Kosslick (li.) und Kurator Thomas Hailer bei der Vorstellung des Festival-ProgrammsBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Zu Zeiten des Kalten Krieges hatte es die Berlinale leichter. Da standen sich zwei hochgerüstete Supermächte gegenüber. Die USA und die Sowjetunion hatten sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem europäischen Kontinent eingerichtet: hier die Nato, dort der Warschauer Pakt. Zahlreiche Krisen hielten die Menschen in Anspannung. Das geteilte Berlin war die Nahtstelle zwischen den Blöcken - und mittendrin die Berlinale.

Das Festival hatte von Anfang an, seit 1951, seine klare Aufgabe: Vermittlung und Versöhnung - die Kultur als Brückenbauer. In Berlin wurden Filme aus Osteuropa gezeigt, sogar aus der DDR. In den Kinos begegneten sich Kulturschaffende, die sonst kaum zueinander fanden. Und das Publikum sah und hörte zu. Die Berlinale wurde so zu dem "politischsten Filmfestival der Welt". Ein Etikett, das der Berlinale noch heute anhaftet.

Zwar änderte sich die Weltlage 1989 radikal, doch die Etikettierung blieb. Durften sich die beiden anderen großen Festivals in Cannes und Venedig zurückziehen auf künstlerisch anspruchsvolles Autorenkino, hieß der Slogan der Berlinale nach wie vor: Hier wird Politik gemacht, hier werden gesellschaftlich relevante und politisch wichtige Filme gezeigt.

Alleinstellungsmerkmal "politische" Filme

Das hat sich bis heute nicht geändert. Für das Festival ist das Segen und Fluch zugleich. Segen, weil sich die Berlinale so ein Alleinstellungsmerkmal gesichert hat, auch wenn Cannes und Venedig inzwischen ebenfalls viele politische Filme zeigen. Doch in Sachen Festival-Größe haben alle anderen Konkurrenten das Nachsehen. Die zahlreichen Nebenreihen der Berlinale sorgen dafür, dass vielerorts - auch abseits des Wettbewerbs - diskutiert wird über Politik und Film, Gesellschaft und Kino.

Fast jeder Berlinale-Jahrgang kommt so zu seinem Thema. Mal ist es die Umweltthematik, mal die Finanzkrise, vor zwei Jahren war es die Flüchtlings-Debatte, 2018 wird es der Weinstein-Skandal und seine Folgen sein. Stets wird vom Festival erwartet, dass all die gerade aktuellen Debatten und Krisen im Programm gespiegelt werden.

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DW-Redakteur und Kino-Experte Jochen Kürten

Damit kommen wir zum Fluch der Berlinale: Das Festival ächzt seit vielen Jahren unter dieser Bedeutungslast. Viele Experten kritisieren das Festival (und dessen Leiter Dieter Kosslick) deshalb seit langem. Die am häufigsten zu hörenden Vorwürfe lassen sich so zusammenfassen: Die Berlinale und insbesondere der Wettbewerb um den Goldenen Bären zeige zu viele künstlerisch belanglose Filme, die lediglich eine politische Botschaft transportierten. Mit der künstlerischen Qualität der Filme von Cannes und Venedig könne die Berlinale jedenfalls nicht mithalten. Sogar Festivals wie Toronto oder Sundance seien inzwischen auf Augenhöhe. Die Programmgestaltung der Berlinale sei - verursacht durch seine schiere Größe - beliebig, konzeptlos und ohne scharfes Profil.

Die seit vielen Jahren geführte Diskussion berührt ein grundsätzliches Dilemma jeglicher Kultur - und damit auch entsprechender Kulturveranstaltungen: Zu viel Botschaft, zu viel moralischer Zeigefinger, zu viel gute Absicht schaden der Kunst. Das gilt für das Kino ebenso wie für die Literatur, auch für das Theater, für Kunst und Musik sowieso.

Im Sog aktueller Debatten

Die vielen Regisseure und Regisseurinnen, die jetzt zur Berlinale kommen und dort ihre neuen Filme vorstellen, können einem fast schon leid tun. Da haben sie oft jahrelang für ihre Projekte gearbeitet und werden nun in den kommenden Tagen vermutlich in den gewaltigen Sog aktueller Debatten geraten - auch wenn ihre Filme gar nichts damit zu tun haben.

Auch Dieter Kosslick konnte einem ein wenig leid tun, als er bei der Programmpressekonferenz vor ein paar Tagen Rede und Antwort stehen musste. Der eigentlich immer gut gelaunt auftretende Festivalchef, der 2019 seinen Hut nehmen wird, wirkte gehemmt angesichts der Last, die die Berlinale inzwischen zu schultern hat: "Man wird nicht mehr so viele Witze reißen, der Humor wird etwas reduziert, denn die Spaßbremsen möchten das ja nicht", so der vergrätzte Kosslick vielsagend.

Es geht nicht darum, die Debatten um mehr Gleichberechtigung abzuwürgen. Sie werden stattfinden. Die Berlinale beteiligt sich an diesen Debatten, steuert eigene Veranstaltungen bei. Und das ist ja auch gut so. Doch vergessen werden sollte nicht, dass die Filme, die in den kommenden zehn Tagen auf den zahlreichen Leinwänden Berlins gezeigt werden, eigentlich für sich sprechen sollten - mit ihren Themen und Sujets, mit ihrem Stilwillen und ihrer Ästhetik.     

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