Es ist der Auftakt des Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2017. Angela Merkel will die CDU, ihre Partei, motivieren, mitnehmen. Aber der Glanz verblasst. Ihre Rede, zu kleinteilig, plätschert in weiten Teilen dahin. Und die Basis zeigt es ihr.
Das bringt das Ergebnis bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden drastisch zum Ausdruck. Merkel bekommt 89,5 Prozent Ja-Stimmen, über sieben Prozent weniger als noch 2014. Jeder Zehnte in der Essener Gruga-Halle stimmt mit "Nein". Und das knapp zehn Monate vor der Bundestagswahl. (Übrigens: 52 Delegierte stimmten überhaupt nicht mit ab - bei der wichtigsten Abstimmung des Parteitags.)
Merkel wirkt bereits angeschlagen, als sie, lange vor der Abstimmung, ihre knapp 80-minütige Rede beginnt. Vielleicht ist es die Spur einer Erkältung. Aber es passt zur Stimmung in den Murmelstunden vor dem Parteitag. An der Basis werde gegrummelt, heißt es. Dabei haben sie hier alle so hohen Respekt vor Merkels Wirken als Kanzlerin, zumeist auch vor ihrer Flüchtlings-Entscheidung des Sommers 2015.
Den stärksten Zuspruch, begeisterten Applaus bekommt Merkel bei ihrem Ja zu einem Burkaverbot, bei ihrer Absage an populistischen Hass, an Islamismus und Parallelgesellschaften. Das trifft die Stimmung der Basis, die nun nicht mehr ganz Ihre Basis ist. Bei Helmut Kohl, den sie einst stürzte und nun doch zweimal nennt, fing das irgendwann auch mal so an.
Am stärksten ist sie bei der Erinnerung
Zur stärksten Passage ihrer Rede werden die Erinnerungen an die Wendezeit. Merkel erzählt, wie sie aus der Wissenschaft in die Politik kam, kurz bei der SPD war und dort wieder ging, beim "Demokratischen Aufbruch" landete, damit zur CDU kam. Da wird ihre Stimme anders. Diese Erinnerung ist noch nicht auserzählt. "Geh ins Offene", erinnert sie. "Da ist die Freiheit." Und Politik gegen die Freiheit sei Frevel. Der Saal lauscht ihr da, und sie fällt - für diese oft unterkühlt wirkende Kanzlerin ungewöhnlich - in ein plurales Du: "Ihr müsst mir helfen!" Und: "Ich habe Euch auch einiges zugemutet."
Trotz dieser Passagen, trotz des demonstrativ laaangen Beifalls: Die Rede bleibt weit hinter der Rede des Karlsruher Parteitages 2015 zurück. Auch hinter ihrem Auftritt zur Ankündigung der Kanzlerkandidatur vor zwei Wochen in Berlin.
Vielleicht häufen sich nun doch die Parallelen zu Kohl. Er trat 1994 auch an zu einer vierten Kandidatur als Regierungschef und nahm eine entkräftete Partei mit, deren Begeisterung nur noch von der Generation Kohl kam - jenen jungen Leuten, für die Kohl einfach immer schon da war.
Merkel erfindet sich und die Partei diesmal nicht neu. Vielleicht will sie es gar nicht, will den alten, zuletzt entrückten Markenkern pflegen. Vielleicht hat sie sie auch schon zu oft neu erfunden. Aber so wird aus ihrer wichtigsten Rede dieser Monate ein "Weiter-so". Ob das reicht? Für einen Wahlkampf, der "kein Zuckerschlecken wird", der der schwierigste wird seit der deutschen Einheit? Die Frage bleibt nach diesem Essener Dienstag. Und sie wird deutlicher.
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