Dieser Kommentar könnte sehr kurz ausfallen: Ja, die Europäische Union muss ein Verfahren gegen Italien eröffnen wegen anhaltender Missachtung einer Menge von Regeln, die sich alle Mitglieder der Gemeinschaft gegeben haben.
Und nein: Das Verfahren wird keinerlei Wirkung haben - und schon gar keine wirtschaftlich relevanten Ergebnisse bringen. Wie auch? Die Mächtigen in Rom wissen genau, dass ihr Land zu groß ist, um einfach "bestraft" zu werden. Ganz zu schweigen von einem Rausschmiss aus dem Verein.
Damit könnten wir enden.
Und dennoch muss sich die EU den Mühen der Ebene stellen, einer Ebene, so weit und groß, dass sie locker von der gepflegten Gegend um Mailand bis hin zu den flachen Wassern rund um Sizilien reicht. Denn Italien ist für die EU ein ökonomisch aufgeladener Sprengsatz, dem nur mit politischen Mitteln beizukommen ist. Dem man mit politischen Mitteln beikommen muss - die Europäische Union hat gar keine andere Wahl.
Der Sprengsatz in Zahlen: Italien hatte im letzten Jahr eine Staatsverschuldung von 132,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Die Schulden-Summe in harter Währung: Ende 2018 waren es mehr als 2,3 Billionen Euro. Für 2020 erwartet die EU-Kommission einen Schuldenstand für Italien von mehr als 135 Prozent. Das Regelwerk für Euroländer erlaubt aber gerade einmal 60 Prozent.
Ein Sprengsatz
Noch ein paar Zahlen: Italiens Anteil an der EU-Wirtschaftsleistung beträgt 11,2 Prozent (im Jahr 2017) - dabei stagniert die Wirtschaft Italiens und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Die Summe der Staatsschulden, die italienische Banken halten, liegt bei mehr als 400 Milliarden Euro.
Um die Staatsschulden - gemessen am BIP - abzutragen, müssten die Italienerinnen und Italiener ein Jahr und vier Monate lang arbeiten, ohne von dem, was sie da erarbeiten, auch nur ein Panino zu essen. Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung, und die EU und ihre Kommission wissen das natürlich auch. Zuletzt forderte die EU-Kommission, es müsse wenigstens sichtbar werden, dass Rom seine Schulden abträgt und nicht erhöht. Dazu sollte zumindest das italienische Haushaltsdefizit reduziert werden, das derzeit bei gut zwei Prozent liegt.
Doch Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega will da nicht mitspielen: "Die Zeit ist vorbei, wo wir Briefchen aus Brüssel bekommen." So redet der starke Mann in Rom. Wenn es nach ihm ginge, würde das italienische Haushaltsdefizit im nächsten Jahr auf fünf Prozent steigen.
"Die Regierung wird fallen"
Und es geht nach ihm - das ist das politische wie ökonomische Problem der Europäischen Union. Denn, noch ein paar Zahlen, wenn auch nicht unmittelbar wirtschaftlicher Art: Salvini mit seiner Lega kam bei den Europawahlen in Italien auf gut 34 Prozent der Stimmen (und verdoppelte damit das Gewicht seiner Truppe). Die nur noch lavierende, ehemals linkspopulistische Sammlungsbewegung Fünf Sterne brachte es gerade noch auf 17 Prozent. Die beiden Koalitionäre haben die Rollen getauscht. Und blockieren sich weiter fröhlich gegenseitig.
Dass Salvini mit dem Gedanken an Neuwahlen spielt und selbst Regierungschef werden will, gilt in Rom als Gewissheit: "Niemand weiß, wann die Regierung fallen wird, aber jetzt haben alle kapiert, dass sie wirklich stürzen kann", zitierte der Corriere della Sera einen Abgeordneten.
Von dem potentiellen künftigen Machthaber in Rom werden auch Sätze wie dieser zitiert: "Die Grenzwerte der Währungsunion sind alt und überholt, und sie haben Europa geschadet … Ich hänge mich nicht an einer kleinen Regel auf."
Die Pragmatischen stärken
Mit solchem Gerede treibt der Minister und Populist immer wieder die Kosten für die italienischen Staatsschulden in die Höhe, engt so den Spielraum seiner Regierung ein und gefährdet die Existenz italienischer Banken - und damit die Stabilität des europäischen Finanzgefüges.
Mit einer großen Keule - wahlweise aus Brüssel (EU), Frankfurt (Europäische Zentralbank) oder Washington (Internationaler Währungsfonds) - ist dem nicht beizukommen. Nur mit ständiger Gesprächsbereitschaft von Seiten der EU, mit dem ständigen Angebot, kleine Schritte zu gehen, kleine Fortschritte zu suchen. Und wo es geht, die noch Vernünftigen und Pragmatischen im Land zu stärken, in der Banca d'Italia, in den Unternehmen, in NGOs und der Zivilgesellschaft überhaupt.
Die Keule aus Brüssel dagegen stärkt nur den starken Mann in Rom. Dass die EU sie dennoch schwingen muss, wenn sie ihr eigenes Regelwerk nicht über den Haufen werfen will, ohne sich über einen Ersatz einig zu sein, ist genauso richtig. Das Ganze mag anmuten wie eine Quadratur der Keule. Die Lösung des Problems liegt allein bei den Italienern. Wenn sie die Zeit dazu überhaupt noch haben.