Und auch am Tag nach einem solchen politischen Beben wurde es wieder hell über Berlin und über Deutschland. Der Tag eins nach dieser bemerkenswerten Bundestagwahl zeigt sich an der Spree bewölkt, auch nasskalt, unangenehm. Die sonnigen Tage sind vorbei.
Ein Bild für die Politik der kommenden Monate? Der neue Bundestag, dessen Fraktionen sich an diesem Montag und Dienstag erstmals zusammensetzen, wird mit 709 Abgeordneten aus sieben Parteien in sechs Fraktionen groß sein wie nie. Und - schon durch den Einzug der AfD und den Wieder-Einzug der FDP - ungewöhnlich viele Parlamentarier betreten erstmals die politische Bühne. Unübersichtlich, vielleicht auch unangenehm wird das werden.
Rückt die AfD noch weiter nach rechts?
Das gilt nicht nur wegen der ersten Auftritts der AfD. Deren Fraktion war noch nicht einmal gebildet, da ging das prominenteste und erfolgreichste Gesicht der Partei, die Vorsitzende Frauke Petry, auf Distanz und beklagte, dass gemäßigte Mitglieder "auf allen Ebenen diskreditiert" würden. Eine gute Stunde später dann die Meldung aus Mecklenburg-Vorpommern, dass sich vier Mitglieder von der Landtagsfraktion der "Alternative für Deutschland" abspalten. Da zeigt sich: Populismus ist noch keine Programmatik. Die AfD steht in der Gefahr, noch weiter nach rechts zu rücken. Dabei bedeutet der Auftrag der Wähler auch, zuverlässig zu werden.
Man kann über die Auftritte von Martin Schulz seit der Wahl urteilen, wie man will - aber es ist doch bemerkenswert, dass seine Partei, die SPD, nach seinen Angaben über Nacht den Eintritt von 975 neuen Mitgliedern verzeichnete. Die Grünen legten nach und meldeten 268 Neueintritte. Gewiss werden andere Parteien bald ähnliches äußern. Politische Mitsprache erschöpft sich nicht im Gang ins Wahllokal. Zu Zeiten der größten innenpolitischen Kontroversen bis in die späten 1970er-Jahre, in jenen Zeiten, in denen sich die Bundesrepublik noch sortierte, verzeichnete Deutschland nicht nur weit höhere Wahlbeteiligungen als an diesem Sonntag mit immer noch erschreckend niedrigen 76,2 Prozent. In jenen Zeiten waren die großen Parteien mit ganz anderen Mitgliederzahlen tatsächlich noch Volksparteien. Es müssen sich wieder mehr Bürger einbringen - die Parteien müssen es schaffen, wieder mehr Bürger zu integrieren. Zu oft arbeiten da alte Zirkel. Politik ist Wettbewerb und Streit um die besten Konzepte, Politik ist auch gemeinsames Ringen. Mit allen.
Keine einfache Regierungsbildung
Bei der CDU waren am Abend genug schwärmerische Geister der Parteijugend eingebunden, die ein für die Partei ernüchterndes Wahlergebnis wie einen Sieg feierten. Und der Spitzenkandidat der bayerischen Schwesterpartei CSU, Joachim Herrmann, jubelte im CDU-Quartier darüber, dass die Union Rot-Rot-Grün verhindert habe. Als ob das in den vergangenen Monaten noch zur Debatte gestanden hätte… In seiner eigenen Person steht Herrmann für die Schwächung der CSU: Sein Listenplatz Nummer eins "zieht" nicht, er bekommt kein Mandat. So braucht Herrmann schon ein Ministeramt, um einen Arbeitsplatz in Berlin zu haben.
Das macht die Regierungsbildung anspruchsvoll. Dabei muss doch jemand regieren. Vertraulich reden, Vertrauen aufbauen, Kompromisse aushandeln, Verantwortung übernehmen. Angela Merkel sprach am späten Sonntagabend im Adenauer-Haus davon, es würden "jetzt keine ganz einfachen Wochen kommen", aber man werde sie in "Verantwortung für das Land" und das Parteiprogramm schon meistern.
Die Kanzlerin ist geschwächt
Bleibt der Faktor Zeit. 2005, als sich die erste große Koalition unter Merkel finden musste, dauerte die Regierungsbildung 65 Tage. Der zweite Anlauf einer GroKo 2013 brauchte gar 86 Tage. Reihenweise drängten Wirtschaftsvertreter am Montag auf rasche Regierungsbildung. Das gilt vor allem der bisherigen und nach jetzigem Stand zukünftigen Kanzlerin.
Aber Merkel selbst ist, so sehr sie mit all ihrer Erfahrung im Sturm des Ergebnisses Ruhe ausstrahlte, geschwächt. Im Detail zeigen die Wahlergebnisse, dass die Union jene verloren hat, die sich sozial abgehängt fühlen, die Angst um ihre Zukunft haben, die vielleicht auch deshalb beim Thema Flüchtlinge so aggressiv werden. In der großen Politik hat sich Merkel einige Male neu erfunden in ihren zwölf Kanzler-Jahren. Parteipolitisch wird das jetzt schwerer. Ihre sonnigen Tage sind vorbei.
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