Ein Anfang ist gemacht - mehr nicht
Die Welt des globalisierten Handels ist alles andere als gerecht. Bananen, Kaffee, Lederwaren, Textilien - fast alles in den Geschäften im Westen stammt aus Entwicklungsländern, in denen soziale und ökologische Standards nach europäischem Maßstab schwer zu begreifen sind und mit dem gewöhnlichen Arbeitsalltag der meisten Menschen kaum etwas zu tun haben. Die Arbeiter dort verdienen meistens nur wenig und haben sehr oft nur ein paar Jahre die Schule besucht.
Ein Beispiel sind die Textilarbeiterinnen in Bangladesch. Sie schuften sieben Tage lang vierzehn Stunden am Tag, um am Ende gerade mal einen Hungerlohn mit nach Hause zu nehmen. Einen sicheren Arbeitsplatz kennen sie nicht. Textilarbeiterinnen haben keinen Kündigungsschutz und können jederzeit ersetzt werden - denn Tausende junge, ungelernte Frauen stehen jederzeit bereit, frei werdende Arbeitsplätze zu übernehmen. Beim Verlust des Jobs wird der Überlebenskampf noch unerbittlicher.
Die Geschichte wiederholt sich
Ein Grund ist: Sowohl die Fabriken, als auch die Zulieferer stehen unter Druck. Die Preise sinken und die Herstellungskosten steigen. Auch die Firmen, die die Ware im Westen verkaufen, haben wenig Spielraum. Selbst unter den Billiganbieten in den Einkaufsmeilen in Deutschland tobt ein bitterer Preiskampf.
Das Phänomen, das heimische Industrien durch Importe aus dem Ausland zerstört werden, ist nicht neu. Dabei findet man Beispiele in der deutschen Geschichte, die an die heutige Situation in Bangladesch erinnern. Der Augsburger Weberaufstand 1784/85 war eine von zahlreichen Handwerkerunruhen im vorindustriellen Deutschland. Damals ging es um das Schicksal der Weber in Augsburg, die zunehmend unter der Konkurrenz von Billiganbietern aus Ostindien litten. Erst nach Jahrzehnten konnte man die Situation der Weber nach und nach verbessern.
Heute erwartet man allerdings im Westen, dass Entwicklungsländer wie Bangladesch unter internationalem Druck diesen Prozess im Schnellverfahren durchführen. Ohne tatkräftige Hilfe von Außen werden diese Länder kaum gegen die Kräfte der Globalisierung ankommen.
Evolution der Entwicklungspolitik
Aber es gibt jetzt Anzeichen dafür, dass ein Umdenken in der Entwicklungspolitik - vor allem in Deutschland - stattfindet. Höchste Zeit. In der Vergangenheit sorgten entwicklungspolitische Ansätze des Westens in der sogenannten Dritten Welt immer wieder für Unmut. Zuerst wollte man mit einem erhobenen Zeigefinger "die in der Dritten Welt" belehren. Dann kam eine Phase des konstruktiven Engagements - mit dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe". Nun beginnt man zu verstehen, dass "die in der Dritten Welt" nicht mehr allein für ihre verheerende Situation verantwortlich gemacht werden können.
Heute findet man die Schuldigen nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern, in den Führungsetagen der multinationalen Unternehmen, die die Ware nach Westeuropa bringen und zu Ramschpreisen verkaufen und nun sogar auch bei den Kunden der Warenhausketten. Sie alle - so heißt es - würden dazu beitrage, dass beispielsweise die Textilarbeiterinnen in Bangladesch kein menschenwürdiges Leben führen.
Das am 16. Oktober 2014 gegründete und von Deutschland initiierte Bündnis für nachhaltige Textilien zielt darauf, die Situation der Textilarbeiter nachhaltig zu verbessern. Ziel dieser Initiative ist es, alle in der Fertigungs- und Lieferkette zu verpflichten, kleine, überschaubare und nachweisbare Verbesserungen vorzunehmen, damit etappenweise Fortschritte in der Situation der Textilarbeiter in den Fabriken vor Ort erzielt werden können.
So hofft man verhindern zu können, dass furchtbare Unglücksfälle - wie der Einsturz der Fabrik am Rana Plaza in Bangladesch im Jahre 2013 - wieder passieren. Das Ziel ist die Erteilung eines Gütesiegels an die teilnehmenden Firmen, so dass deutsche Kunden mit gutem Gewissen zum Beispiel T-Shirts oder Hemde "Made in Bangladesh" kaufen können. Es soll eine "Win-Win-Situation" entstehen.
Ein sehr umfassender Ansatz, der innerhalb eines Jahres bereits positive Folgen vor Ort erzielt hat. In den Textilfabriken der am Textilbündnis beteiligten Firmen werden Themen wie Gebäudesicherheit, umweltgerechte Arbeitsprozesse oder Arbeitnehmervertretungen inzwischen ernstgenommen. Erste Maßnahmen werden ergriffen und durchgesetzt. Auch eine Unfallversicherung wird mit der Unterstützung der Bundesregierung eingeführt.
Ausweitung auf andere Branchen und Länder
Das Ganze könnte man als Tropfen auf den heißen Stein betrachten. So gesehen wäre das Glas halbleer. Eine gewisse Skepsis ist außerdem gerechtfertigt, da nicht wenige Firmen in Bangladesch wegen früherer Täuschungsmanöver berüchtigt sind. Die Besitzer sind reiche Leute, die eng mit der Politik verbandelt sind. Aber die Fortschritte der letzten Monate ermutigen. Vielleicht ist das Glas ja doch halbvoll.
Aber: Selbst wenn die Textilarbeiterinnen in Bangladesch in den kommenden Jahren von dieser Initiative wesentlich profitieren sollten, wäre der Zustand der Arbeiter in anderen Branchen wie in den Gerbereien nach wie vor miserabel. Dann müsste man aus dem Textilbündnis ein Bündnis für alle Branchen in Bangladesch ableiten und weitere Länder einbeziehen, in denen ähnliche Verhältnisse wie in Bangladesch herrschen. Um dies zu erreichen, braucht man eine konzertierte Aktion seitens des Westens. Die Arbeit der Bundesregierung hat gerade erst begonnen.