Sieg für die US-Bürger
29. Juni 2012Das Urteil des Supreme Courts ist nicht nur ein Sieg für Präsident Obama, sondern für alle US-Amerikaner. Denn indem das höchste US-Gericht die zentrale Klausel der Gesundheitsreform - die Versicherungspflicht - für verfassungsgemäß erklärte, ist bis auf eine Ausnahme, die das Gericht separat regelte, das ganze Gesetzespaket weiter gültig. So dürfen Versicherungen niemanden mehr wegen einer Vorerkrankung ablehnen oder ihm kündigen, wenn er krank wird. Jugendliche bleiben, bis sie 26 Jahre alt sind, bei ihren Eltern versichert. Vorsorgemaßnahmen werden bezahlt. Und Versicherungen dürfen keine jährliche oder lebenslange finanzielle Obergrenze für Medikamente oder Behandlungen festlegen – vor allem für chronisch Kranke eine gute Nachricht. Niemand muss bankrott gehen, weil er krank ist und die Rechnungen nicht bezahlen kann.
Die USA, wo derzeit knapp 50 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben, sind damit im Kreis der zivilisierten Völker angekommen. Der Oberste Gerichtshof hat einmal mehr bewiesen, dass er sich dem Fortschritt nicht in den Weg stellt. Vernunft hat über politische Rhetorik gesiegt. Denn die Tatsache, dass 26 Bundesstaaten gegen die Gesundheitsreform geklagt hatten, hat vor allem parteipolitische Gründe. Ursprünglich war die Versicherungspflicht eine Idee konservativer Think Tanks. Der derzeitige republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney hat sie als Gouverneur des Bundesstaates Massachusetts eingeführt. Erst, als Präsident Obama sich an ein landeweites Gesetz machte, gingen die Republikaner in die Opposition.
Strafe zur Steuererhöhung erklärt
Das Urteil des Supreme Courts fiel 5 zu 4 aus. Zu den vier "liberalen" Richterstimmen gesellte sich der oberste Richter John Roberts, bisher nicht für progressive Ansichten bekannt. Seine Zustimmung hatte denn auch einen Preis. Die Begründung für die Verfassungskonformität der Versicherungspflicht lautet nun: Wer sich nicht versichert, zahlt keine Strafe, sondern eine Steuer. Denn es ist unbestritten, dass der Kongress das Recht hat, Steuern zu erheben – wie etwa beim Kauf von Benzin oder Erwerb von Eigentum. Der Haken für die Demokraten: Die Gesundheitsreform ist nun offiziell eine Steuererhöhung – ein Begriff, den sie bisher peinlichst vermieden haben, und ein Schlachtruf, den die Republikaner sofort aufgriffen.
In seiner Reaktion auf das Urteil zeigte sich Präsident Obama zufrieden – und rief dazu auf, nach vorne zu schauen und nicht die Kämpfe von vor zwei Jahren noch einmal auszutragen. Damals waren die Wogen hoch geschlagen, die Tea Party hatte einen Großteil ihrer Popularität aus dem Widerstand gegen die Gesundheitsreform gezogen. Es steht zu vermuten, dass Obama selbst nicht daran glaubt, dass die Konservativen nun nachgeben. Noch am Donnerstag erklärte Mitch McConnell, der Minderheitsführer der Republikaner im Senat, das Urteil bedeute nicht das Ende der Debatte, sondern einen "Anfang auf dem Weg, das Gesetz rückgängig zu machen". Und Mitt Romney sagte, sollte er zum Präsidenten gewählt werden, werde er genau das an seinem ersten Amtstag tun.
Die politische Schlacht wird also weitergehen. Das Urteil wird sowohl Republikaner als auch Demokraten in ihrem politischen Kampf motivieren. Doch das Urteil des obersten US-Gerichts sorgt nun dafür, dass Millionen Amerikaner nicht unter der politischen Schlammschlacht leiden.