Ein Staat scheitert
22. Januar 2015Im Jemen herrscht Chaos - wieder einmal. Nachdem die Huthi-Rebellen den Präsidentenpalast gestürmt haben, fordert nun der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die Macht wieder in die Hände von Staatspräsident Hadi zu legen. Das Problem: Die Macht befand sich nie in Hadis Händen. Zumindest nicht vollständig. Wer im Jemen wirklich den Ton angibt, ist ausgesprochen undurchsichtig - und zwar nicht erst seit Beginn des so genannten Arabischen Frühlings.
Jahrzehntelang hatte Ali Abdullah Saleh das Land zusammengehalten. Ganz im eigenen Interesse: Seit der Vereinigung des früher sozialistischen Südjemens mit dem Nordjemen im Jahr 1990 konnte der Langzeitherrscher auf die Ressourcen des gesamten Landes zugreifen. Verteilt hat er sie, wie es ihm passte: immer dort, wo ihm der meiste Wind entgegen blies. So gelang es dem ehemaligen Präsidenten, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Stämme gegeneinander auszuspielen und seine Gegner in Schach zu halten. Die Armut im ohnehin ärmsten Land der arabischen Welt hat Saleh damit nur vergrößert. Doch so lange noch ein bisschen Geld in der Kasse war, hat diese Strategie funktioniert. Vordergründig jedenfalls.
Koalitionäre im jementischen Machtkampf
Dem Huthi-Clan hat die Politik des Präsidenten nie gepasst. Seit dem Bürgerkrieg in den 1960er Jahren fühlen sich die Schiiten von der sunnitischen Mehrheit an den Rand gedrängt - auch, weil Saleh lange mit den sunnitischen Moslembrüdern verbündet war. Seit 2004 kämpfen die Huthi-Krieger aus dem Norden gegen die Truppen der Zentralregierung. Immer wieder haben sie sich tödliche Gefechte geliefert. Doch dann gab es jedes Mal einen Waffenstillstand. Vielleicht, so meinen manche Beobachter, war das damals schon Kalkül. Heute jedenfalls scheinen Ali Abdullah Saleh und die Huthi-Rebellen ein gemeinsames Interesse zu haben: den Sturz der jemenitischen Regierung.
Denn der Arabische Frühling hatte auch die 33 Jahre währende Herrschaft von Saleh beendet. 2012 verbündeten sich die meisten Stämme mit den Huthi, mit Teilen der Armee, mit zahlreichen sunnitischen Islamisten und protestierenden Jugendlichen gegen Saleh - jedenfalls vorübergehend. Saleh verlor das Präsidentenamt. Doch er blieb im Jemen und konnte einen Teil seiner Anhängerschaft im Militär und bei den Stämmen halten. Dass er immer noch mächtig ist, beweist die Tatsache, dass seine Partei zur Regierungskoalition gehört und er seinen ehemaligen Stellvertreter Hadi als seinen Nachfolger durchsetzen konnte. Doch das reicht Saleh nicht - auch wenn er das so klar nicht sagt.
Ratloser Appell der Weltgemeinschaft
Der Ex-Präsident will wieder an die Macht - oder zumindest seinen Einfluss wahren. Denn Präsident Hadi bemüht sich seit 2012, Saleh zurückzudrängen - in der Regierung, in der Politik und im Militär. Auch die Huthi wollen ihre Macht stärken. Die Gelegenheit ist günstig, denn die Zentralregierung im Jemen ist inzwischen noch schwächer als früher. Schon in den vergangenen Jahrzehnten war fraglich, ob ihre Macht überhaupt bis in die entlegeneren Gebiete des Landes reichte - dorthin, wo es kaum Straßen gibt, von Schulen und Krankenhäusern ganz zu schweigen. Längst gilt der Jemen als Rückzugsgebiet für Mitglieder des Terrornetzwerks Al-Kaida. Eigenen Angaben zufolge geht die Zentralregierung vehement gegen die Terroristen vor - mit finanzieller Unterstützung der USA. Tatsächlich dürften unter den Festgenommenen und Getöteten aber auch einfache Regierungsgegner gewesen sein - oder Jemeniten aus dem Süden, die ihre Unabhängigkeit vom Norden fordern.
Das spricht zwar nicht dafür, die Huthi nun einfach gewähren zu lassen oder Salehs Wunsch nach Neuwahlen nachzukommen. Aber die Forderung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die Macht in die Hände von Präsident Hadi zu legen, klingt ausgesprochen ratlos. Der Jemen befindet sich seit Jahren auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat. Daran wird Präsident Hadi kaum etwas ändern können.