Eine notwendige Klage im Fall Amri
14. Dezember 2018Es war der schlimmste islamistisch motivierte Anschlag in Deutschland. Elf Menschen starben, als Anis Amri am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz raste. Den Fahrer des gestohlenen Fahrzeugs hatte er zuvor ermordet. Der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, bezeichnete die schreckliche Tat damals lapidar als "Polizeifall". Sollte heißen: Seine Behörde habe wenig bis gar nichts über den als Flüchtling nach Deutschland eingereisten Amri gewusst.
Dass diese Behauptung - vorsichtig formuliert - eine maßlose Untertreibung war, lässt sich problemlos belegen. Streng genommen reicht schon der Hinweis, dass Amri von den deutschen Sicherheitsbehörden als sogenannter Gefährder geführt wurde. Also als jemand, dem man jederzeit einen Terror-Anschlag zutraut. Und weil das so war, befasste sich auch das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern immer wieder mit Amri. An den regelmäßigen Besprechungen nahm und nimmt natürlich auch das BfV teil.
Der Verfassungsschutz weiß mehr, als er öffentlich zugibt
Wegen der vielen offenen Fragen und Widersprüche drängte die Opposition im Bundestag auf einen Untersuchungsausschuss. Der wurde im März eingesetzt und hat inzwischen zahlreiche Zeugen befragt - auch aus dem BfV. Die erweckten durchweg den Eindruck, den Namen Amri bestenfalls mal gehört zu haben. Die vermeintliche Ahnungslosigkeit finden vor allem die Abgeordneten der Opposition wenig glaubwürdig.
Ihre Zweifel sind gut nachvollziehbar, denn der Verfassungsschutz hatte entgegen seiner ursprünglichen Darstellung sehr wohl Spitzel im Umfeld Amris. Unklar ist, wie nah diese sogenannten V-Leute am Attentäter dran waren. Am besten wissen das deren unmittelbare Ansprechpartner im Verfassungsschutz, also die V-Mann-Führer. Doch die dürfen auf Geheiß der Bundesregierung nicht als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Die Begründung: Quellenschutz.
Die Opposition hat gute Argumente
Als "Quellen" werden Spitzel bezeichnet. Mit deren angeblich bedrohter Sicherheit begründen staatliche Stellen gerne ihre eigene mangelhafte Kooperation. Faktisch sabotieren sie damit die weitere Aufklärung des Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt. So sehen es auch die Oppositionsfraktionen der Linken, Grünen und FDP. Sie lassen sich nicht weiter mit fadenscheinigen Begründungen an der Nase herumführen und klagen nun gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Verweigerungshaltung der Regierung.
Ihre Argumente sind überzeugend. Dazu zählt das Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit, allen voran der überlebenden Opfer und der Opfer-Angehörigen. Wie abwegig das Scheinargument von der gefährdeten Sicherheit ist, zeigt sich am Beispiel der Terror-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Sowohl in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als auch im NSU-Prozess mussten V-Leute und ihre Führer als Zeugen aussagen. Um ihre Identität zu verschleiern, tarnten sich manche mit Perücken und Sonnenbrillen.
Einmal Verräter, immer Verräter
Dass diese Zeugen zum Zeitpunkt ihrer Aussagen nicht mehr als V-Leute oder deren Führer aktiv waren, spielt keine Rolle. Denn in den Augen religiöser oder rassistischer Fanatiker gibt es keinen Unterschied zwischen aktiven und ehemaligen Spitzeln sowie ihren Ansprechpartnern beim Verfassungsschutz. Einmal Verräter, immer Verräter - dieser Logik folgen Islamisten ebenso wie Rechtsextremisten. Wenn der Staat aus Furcht vor deren möglicher Rache die Aufklärung von Verbrechen behindert, ist das mehr als bedenklich. Gut, dass sich Freie Demokraten, Linke und Grüne mit den Mitteln des Rechtsstaats dagegen wehren.