1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Erdogan auf Präsidentschaftskurs

Baha Güngör1. Juli 2014

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat wie erwartet seine Kandidatur für das höchste Staatsamt erklärt. Mit seiner unausweichlichen Wahl ins Präsidialamt wird er noch unberechenbarer, meint Baha Güngör.

https://p.dw.com/p/1CTNj
Erdogan erklärt seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 01.07.2014 (Foto: EPA/DEPO PHOTOS +++(c) dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa

Es geht nicht darum, ob das türkische Wahlvolk Recep Tayyip Erdogan nach zwölf Jahren als Regierungschef mit stetig wachsenden, überwältigenden Stimmenanteilen zum 12. Präsidenten seines Landes wählt. Vielmehr konzentriert sich die internationale Aufmerksamkeit vor allem darauf, ob er bereits im ersten Wahlgang am 10. August die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt. Andernfalls muss er bis zum zweiten Wahlgang am 24. August warten, bevor der religiös-konservative Politiker den höchstmöglichen Gipfel seiner Karriere in dem NATO-Staat erklimmt.

Es gehört zum verbalen Ritual von Präsidentschaftskandidaten oder frisch gewählten Staatsoberhäuptern, dass sie "Präsident aller Bürger" sein wollen. Die Popularität Erdogans bei seinen eher an islamischen als an zeitgenössischen Werten orientierten Anhängern ist überwältigend. Fast 50 Prozent der Stimmen erhielt die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bei den letzten Parlamentswahlen vor drei Jahren, nachdem sie bei ihrem ersten überraschenden Riesenerfolg 2002 rund 34 Prozent erhalten hatte.

Bahaeddin Güngör - Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle (Foto: DW)
Bahaeddin Güngör - Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Frankreich als Beispiel

Gerade diese enormen Wahlerfolge sowie das Fehlen von durchschlagskräftigen, charismatischen Oppositionsfiguren haben Erdogan das Gefühl gegeben, er sei unfehlbar. In der Tat werden seine Fehler, seine Entgleisungen, die vielen Korruptionsvorwürfe - sogar gegen seine eigenen Familien- sowie Regierungsmitglieder - unter dem Mantel des Schweigens und der Ignoranz verborgen. Von seinen fatalen Einschätzungen des Bürgerkrieges im benachbarten Syrien über die besorgniserregenden Entwicklungen im ebenfalls benachbarten Irak bis hin zu seinem Umgang mit Andersdenkenden und Journalisten im eigenen Land - all das lässt befürchten, dass Erdogan als Präsident noch unberechenbarer wird.

Erdogan wird endgültig allmächtig. Er wird mit Sicherheit nicht wie ein Notar im Präsidialamt alles unterschreiben, was ihm von Parlament und Regierung vorgelegt wird. Er wird die bereits vorhandenen umfangreichen Befugnisse voll in Anspruch nehmen. Erdogan wird versuchen, die Türkei in einem zentralistischen Präsidialsystem - wie etwa in Frankreich - zu beherrschen.

Schwache Hoffnung der Gegner

Derweil wird die AKP vermutlich ihrem Schicksal überlassen. Auch wenn der bisherige Staatspräsident Abdullah Gül die Parteiführung und das Ministerpräsidentenamt übernehmen sollte, wird eine Spaltung der AKP kaum zu verhindern sein. Alle bisherigen, mit großen oder absoluten Mehrheiten regierenden Parteien fielen in die Bedeutungslosigkeit, nachdem ihre Vorsitzenden zu Präsidenten aufgestiegen waren. Was dann droht, ist ein innenpolitisches Chaos mit ungewissen Folgen für den brüchigen Frieden im Staate Türkei.

Die Hoffnung der innenpolitischen Gegner Erdogans basiert derweil nur noch darauf, ihm den Durchmarsch im ersten Wahlgang zu vermiesen. Der gemeinsame Kandidat der oppositionellen nationalistischen Linken und der Rechtsnationalisten, Ekmeleddin Ihsanoglu, sowie Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen HDP sind nichts mehr als schwache, aussichtslose Alternativen, reine Zählkandidaten. Aber auch das gehört zur Demokratie, die Erdogan bislang instrumentalisiert hat. Übrigens mit Beifall und Unterstützung der Europäischen Union, die den drohenden Scherbenhaufen Türkei entscheidend zu verantworten hat.