Kommentar: Es bestand Handlungsbedarf
8. Juni 2006Aus Sicht der Frankfurter Euro-Zentralbanker war die heutige Entscheidung der einzig richtige Schritt. Denn die europäischen Währungshüter sind nur einem Ziel verpflichtet: der Preisstabilität. Alle anderen Überlegungen haben sich aus ihrer Sicht diesem Ziel unterzuordnen. Sie machen keine Wechselkurspolitik, obwohl so mancher Exporteur über einen weniger starken Euro glücklich wäre, weil er seine Produkte auf dem Weltmarkt günstiger verkaufen könnte. Und sie machen keine Konjunkturpolitik - obwohl so mancher Wirtschaftspolitiker glücklich wäre, wenn weiterhin billiges Geld die Investitionen und die Konsumausgaben anregen würde, bis sich der Aufschwung verfestigt hat.
Nein, die Währungshüter schauen nur auf eines: Die Teuerungsrate in Euroland. Und da zeichnete sich schon seit Monaten ab, dass Handlungsbedarf besteht. Die stark gestiegenen Weltmarktpreise für Rohstoffe, die Rekordpreise für Rohöl und andere Energieträger sind nicht spurlos an Europa vorbeigegangen - vielen Unternehmen blieb zuletzt nichts mehr übrig, als diese Preissteigerungen weiter zu geben. Ein klassischer Fall von importierter Inflation.
Zu viel Geld im Umlauf
Im Mai betrug die Inflationsrate in Euroland 2,5 Prozent. Damit war sie genauso hoch wie der Leitzins. Mit anderen Worten: Nach Abzug der Preissteigerungen lag der Leitzins in Euroland bei Null Prozent. Wenn aber Geld fast nichts kostet, besteht die Gefahr einer Überversorgung der Wirtschaft mit Geld. Zuletzt hatten sich die Anzeichen gehäuft, dass mehr Geld im Wirtschaftskreislauf vorhanden ist, als für ein spannungs- und inflationsfreies Wachstum nötig ist. Das nennt man hausgemachte Inflation. Mit 2,5 Prozent liegt die Inflationsrate auch deutlich über jener Grenze von zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank für unschädlich und deshalb hinnehmbar hält. Ein Zinsschritt war deshalb unvermeidlich - aus stabilitätspolitischer Sicht.
Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, was solche Zinsschritte, von denen wir vermutlich in diesem Jahr noch zwei, drei weitere sehen werden, für den Euro, die Konjunktur und das Wachstum bedeuten können. Eines ist jedenfalls klar: Die EZB kann die Zinsen so hoch schrauben wie sie will - dadurch wird kein importiertes Fass Rohöl billiger. Die Gefahren einer importierten Inflation bleiben also. Und auch die Exporteure werden weiterhin über den starken Euro klagen - der übrigens unsere Ölrechnung erträglich macht, aber leider auch die Exporte verteuert. Denn nichts spricht dafür, dass der Euro in nächster Zeit gegenüber dem Dollar abwerten wird. Der amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke hat seinerseits neue Zinserhöhungen angedeutet, womit der alte Zinsabstand zwischen Europa und den USA bald wieder hergestellt sein wird.
Und die Konjunktur?
Wie viele Bremsschritte kann eine noch immer nicht voll in Fahrt gekommene Konjunktur verkraften, ohne abgewürgt zu werden? Noch ist die Stimmung bei Unternehmern und Verbrauchern gut - in Deutschland war sie sogar selten so gut wie in den vergangenen Monaten. Aber das muss nicht so bleiben. Zumal in Deutschland eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent ab dem nächsten Jahr beschlossene Sache ist.
Niemand weiß, wie viel der momentan guten Konjunktur in Deutschland der Tatsache geschuldet ist, dass die Bürger versuchen, jede größere Anschaffung, jedes Bauvorhaben, jede größere Reparatur noch auf dieses Jahr vorzuziehen, um dem Würgegriff des Fiskus zuvor zu kommen. Und niemand weiß, wie tief das Loch sein wird, in das die deutsche Wirtschaft fällt, wenn am Ende des Jahres die Leitzinsen womöglich bei 3,5 Prozent stehen und die Mehrwertsteuererhöhung ihre fatale Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung entfaltet.
Aber so ist das eben: Die Europäische Zentralbank betreibt Stabilitätspolitik für alle Länder der Eurozone, nicht für ein einzelnes Land. Für die Phantasielosigkeit deutscher Politiker, denen nichts anderes einfällt, als die Steuerschraube weiter anzuziehen, kann man die Frankfurter Währungshüter jedenfalls nicht haftbar machen.