Der Mann hat Mut: Tritt als gewählter Präsident zur abendlichen Siegesfeier zu den Klängen der Europahymne auf. Das würde unter den anderen Staats- und Regierungschefs sonst kaum einer wagen. An Emmanuel Macron, den neuen Präsidenten Frankreichs, richten sich viele Erwartungen. Nicht nur in Frankreich setzen viele Menschen Hoffnung in ihn, sondern auch im Rest Europas verspricht man sich einiges von diesem angeblichen Wunderkind, dem französischen Obama, Trudeau oder welche Vergleiche sonst noch gezogen werden. Macron hat selbst in seiner Krönungsrede am Louvre eingeräumt, dass es schwer werden wird, die hochgeschraubten Erwartungen zu befriedigen.
Deutsch-französische Lokomotive wiederbeleben
Für die krisengeplagte Europäische Union ist es jedoch eine gute Nachricht, dass in Frankreich jetzt jemand Präsident wird, der ähnlich viel Energie und Charisma mitbringt, wie der ehemalige amerikanische Präsident oder der heutige kanadische Premier. Diesen Zauber des Neubeginns muss jetzt vor allem die deutsche Regierung auf europäischer Ebene nutzen. Es ist Zeit, die eingerostete deutsch-französische Lokomotive wieder flott zu machen und aus dem europäischen Lokschuppen zu holen. Europa braucht nach Euro-Krise, Brexit und den Tendenzen zur Renationalisierung in Polen, Ungarn und anderen Mitgliedsstaaten dringend frische Ideen.
Emmanuel Macron könnte sie liefern. Mit vielen Überzeugungen zur Offenheit und Innovationskraft Europas liegt er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Linie. Es ist Zeit für "Merkron", also eine wieder engere französisch-deutsche Zusammenarbeit. Die gab es phasenweise mit Merkel und Nicolas Sarkozy. Die beiden verschmolzen zu "Merkozy". Auch "Merkollande", also die Zusammenarbeit zwischen der Kanzlerin und Präsident Hollande, lief am Anfang ganz gut. Aber dann erwies sich Hollande als Flop: Durchsetzungsschwach in Europa, unbeliebt in Frankreich, gescheitert mit seinen Reformen. Formal standen Merkel und Hollande immer zusammen, aber wirkliche Impulse für die EU gab es nicht.
Deutschland nimmt die Führungsrolle in Europa als "Hegemon wider Willen" (The Economist) war. Frankreich ist nur angekoppelt an die Lok und wird mitgeschleift. Das muss und kann sich ändern, wenn der neue, supersmarte Jüngling im Élysée Unterstützung bekommt. Emmanuel Macron wird es schwer haben, seine Wirtschaftsreformen in Frankreich durchzusetzen. Die EU und Deutschland sollten ihm deshalb möglichst keine Steine in den Weg legen. Bei der Weiterentwicklung der Währungsunion wird es noch gewaltig knirschen, weil Macron da viel weiter reichende Visionen hat als etwa Bundesfinanzminister Schäuble. Macron will einen Euro-Wirtschaftsminister mit eigenem Budget, Investitionsprogramme des Staates, gemeinsames Risiko. Das geht mit der heutigen Mannschaft in Berlin schwerlich. Allerdings wird ja auch in Deutschland bald gewählt und Wolfgang Schäuble nicht mehr ewig Minister bleiben.
Make France great again!
Macron will sein Land wieder wettbewerbsfähig und selbstbewusster machen - nicht weil ihm das Deutschland vorschreibt, sondern weil das zu allererst im Interesse der Franzosen ist. Deutschland braucht, egal wer die Bundestagwahl im September gewinnt, einen ebenbürtigen Partner in Europa. Die EU wird wieder französischer werden, wenn sich Emmanuel Macron ausreichend engagiert. Das werden auch noch die Briten bei ihren Versuchen zu spüren bekommen, den unsinnigen Brexit doch noch zu einem Erfolg für sich zu machen. Mit Nachsicht aus Paris dürfen sie nicht rechnen. Emmanuel Macron wird bereits in zwei Wochen am NATO-Gipfel in Brüssel teilnehmen und dort auf den tumben Donald Trump stoßen. Was für ein erfrischender Gegenentwurf ist doch dieser smarte junge Mann zu dem selbstverliebten, nationalistischen US-Präsidenten.
Die Populisten in Europa haben durch die Entscheidung in Frankreich einen Dämpfer bekommen. Doch besiegt sind sie noch lange nicht. Der "Front National" bleibt eine der größten Parteien in Frankreich. Wenn es Emmanuel Macron mit Hilfe Deutschlands nicht gelingt, die EU wieder auf die richtige Spur zu setzen, dann kann es sein, dass in fünf Jahren doch eine radikale Europagegnerin in den Élyséepalast einzieht.
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