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Kommentar: Ethnische Teilung noch nicht überwunden

5. Oktober 2006

Bei den Wahlen in Bosnien-Herzegowina haben erneut nationalistische Ideen und Ansichten gesiegt. Das Wahlergebnis verspricht nichts Gutes für die Zukunft, meint Benjamin Pargan in seinem Kommentar.

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Dieser Urnengang in Bosnien-Herzegowina war in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung. Denn mit einer Wahlbeteiligung von nur 54 Prozent ist es sehr fraglich, ob dabei der Wille des Volkes wirklich gesiegt hat. Und das bei einer Wahl, die zuvor von den Vertretern der internationalen Gemeinschaft gebetsmühlenartig als schicksalhaft, richtungsweisend und zukunftsbestimmend bezeichnet worden war. Und das stimmt ja auch. Wenn im nächsten Jahr der deutsche Politiker Christian Schwarz-Schilling als letzter Hoher Repräsentant seine umfangreichen Vollmachten abgibt, werden die jetzt gewählten Politiker über das noch immer ungewisse Schicksal dieses Landes entscheiden. Aber, warum blieben dann so viele Bosnier am vergangenen Sonntag (1.10.) zu Hause? Und warum gaben dann so viele von denen, die gewählt haben, ihre Stimmen den nationalistischen Demagogen aus den eigenen ethnischen Gruppen?

Das unterentwickelte Demokratieverständnis der Bevölkerung bietet zweifelsohne eine der vielen Antworten auf diese Fragen. Viele Bosnier träumen noch immer von der alten jugoslawischen Zeit, in der es zwar nur eine Partei gab, dafür aber reichlich Arbeitsplätze. Dabei übersehen sie gerne, dass das alte kommunistische System nicht finanzierbar und auch aus politischen Gründen zum Scheitern verurteilt war.

Verantwortung als Fremdwort

Für die demokratische Entwicklung des Landes bringt es natürlich nichts, wenn solche Nostalgiker aus Protest gegen die weitverbreitete nationalistische Politik und Rhetorik in Bosnien-Herzegowina am Wahltag zu Hause bleiben. Die Resignation, Enttäuschung und die daraus resultierende Wahlabstinenz sind noch immer am weitesten unter den gemäßigten Bevölkerungsgruppen verbreitet. Die extremistischen Parteien in Bosnien-Herzegowina können ihre Wähler fast immer hundertprozentig an die Wahlurnen bringen. Ihre Klientel wurde auch in diesem Walkampf mit plumpen nationalistischen Parolen geblendet. Die miserable wirtschaftliche Lage des Landes, Korruption, organisierte Kriminalität und die stockende Annäherung an die Europäische Union spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Staatsbürgerliche Verantwortung ist nach wie vor ein Fremdwort.

Das Paradebeispiel dafür bietet Milorad Dodik, der strahlende Sieger unter den bosnischen Serben. Seine - nur dem Namen nach - sozialdemokratische Partei SNSD wurde die stärkste Kraft im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas, ihr Kandidat wird auch im dreiköpfigen Staatspräsidium sitzen. Dodik führte einen sehr wirksamen Wahlkampf, der auf extrem nationalistische Standpunkte aufgebaut war. Wiederholt brachte er eine Abspaltung der "Republika Srpska" ins Spiel und gewann damit viele Stimmen der nationalistisch gesinnten Serben.

Auf der bosniakischen (muslimischen) Seite verlangte der ehemalige Außenminister Haris Silajdzic die Abschaffung eben dieser "Republika Srpska" und wurde dafür direkt ins Staatspräsidium gewählt. Obwohl Dodik und Siladzic völlig gegensätzliche Positionen vertreten, spielten sie sich mit ihren Forderungen meisterhaft die Bälle zu.

Jetzt Weichen stellen

Dieses abgekartete Spiel brachte diese beiden Nationalisten und Populisten an die Macht, und in ihren Händen liegt jetzt das Schicksal von Bosnien-Herzegowina. Es kann sein - das erwarten einige westliche Diplomaten in Sarajevo -, dass Dodik und Silajdzic nach der gewonnen Wahl wieder vernünftiger und pragmatischer werden. Trotzdem muss der Hohe Repräsentant seine Taktik des stillen Beobachters schleunigst aufgeben. Wenn das Amt des Hohen Repräsentanten wie vorgesehen im Juni nächsten Jahres wirklich aufgelöst werden soll, müssen bis dahin die Weichen gestellt und muss mancher Wahlsieger wohl des Amtes enthoben werden.

Diese Wahlen haben Bosnien-Herzegowina nicht weitergebracht, und wenn die Internationale Gemeinschaft im nächsten Jahr nicht vor dem Scherbenhaufen ihrer elfjährigen Bemühungen stehen will, dann muss sie im Endspurt nochmals richtig Gas geben. Viele bosnisch-herzegowinische Politiker, aber auch ein Großteil der Bevölkerung haben abermals bewiesen, dass sie mit der Errungenschaft namens Demokratie auch im elften Jahr noch nicht richtig umgehen können.

Benjamin Pargan

DW-RADIO/Bosnisch, 3.10.2006, Fokus Ost-Südost