Wenn ein deutscher Journalist, der für ein deutsches Medium arbeitet, sagt, dass mit Deutschland der richtige Kandidat das Rennen um die EM 2024 gewonnen hat, ist das zunächst einmal vor allem eines: erwartbar. Natürlich gibt es im Sport und auch im Sportjournalismus ausgeprägte patriotische Verhaltensmuster: Dass ein Fußballkommentator über ein Tor der eigenen Nationalelf jubelt, ist eigentlich überall auf der Welt selbstverständlich. Ganz besonders in Deutschland. Fußball und die deutsche Elf sind hier ein nationales Kulturgut, das vielleicht letzte Lagerfeuer, um das sich eine zersplitternde Gesellschaft noch schart. Und doch steckt mehr als bloß nationale Freude über ein Turnier im eigenen Land dahinter, wenn man sagt: Deutschland ist die richtige Wahl.
Erstens ist Deutschland ein Turnier-Gastgeber, der demokratisch verfasst ist, rechtsstaatliche Prinzipien achtet und Menschenrechte schützt. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Weltmeisterschaften in Russland und Katar, EM-Spiele in Aserbaidschan, Olympische Spiele in China - der Trend, Großereignisse zuletzt immer häufiger in autokratische Systeme zu vergeben, ist besorgniserregend. Denn solche Events werden von den Regimes immer auch zur Imagepolitur genutzt, verdrängen damit negative Schlagzeilen über Unterdrückung von Minderheiten oder Andersdenkenden, Verhaftungen von Journalisten und Ausbeutung der Natur.
Der UEFA geht es vor allem um eines: Geld
Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan hätte diese fragwürdige Reihe fortgesetzt: Gleichgeschaltete Medien, Entlassungswellen, Bespitzelung der Opposition, eine von der Regierung gelenkte Justiz. Bei aller sportlichen Fairness angesichts von nun vier gescheiterten (und einer zurückgezogenen) türkischen EM-Bewerbungen in Folge: So lange Erdoğan demokratische Grundsätze mit Füßen tritt, darf man ihm kein Fußballturnier als PR-Geschenk vor die Füße legen.
Zweitens ist Deutschland für die UEFA der bessere Gastgeber, weil es für wirtschaftliche Stärke und Stabilität steht. Zwar stellte die Türkei der UEFA größere Steuer-Geschenke in Aussicht als Deutschland und wollte die Stadien mietfrei zur Verfügung stellen. Aber die angeschlagene türkische Wirtschaft, die Talfahrt der Lira und die auf Konfrontation mit dem Westen ausgerichtete Politik von Präsident Erdogan stellten eben ein zu großes wirtschaftliches Risiko für die UEFA dar. Und letztlich geht es der UEFA vor allem um eines: Geld. Von der EM 2016 in Frankreich blieben der UEFA satte 800 Millionen Euro Gewinn. Präsident Aleksander Ceferin nannte die Einnahmemöglichkeiten vielsagend "absolut entscheidend".
Drittens waren selbst einige Anhänger des türkischen Fußballs gegen die EM-Vergabe an die Türkei. Was auf den ersten Blick unverständlich wirkt, wird bei näherem Hinsehen nachvollziehbar. Noch immer hat sich die Süper Lig nicht von den Korruptionsskandalen der vergangenen Jahre erholt, die Fans sehen den Verband skeptisch. Und dessen Präsident Yildrim Demirören ist Teil des Problems. Er trieb Besiktas Istanbul als Mäzen und Präsident in wirtschaftliche Turbulenzen, warf Journalisten, die den Nationaltrainer kritisiert hatten, kurzerhand aus den ihm gehörenden Medienhäusern und gilt als Erdogans Handlanger. Eine EM in seinen Händen? Keine gute Idee.
Grindel, der angeschlagene Sieger
Bei aller deutschen Euphorie über den Wahlsieg mit 12:4 Stimmen (bei einer Enthaltung) im UEFA-Exekutivkomitee darf eines aber nicht übersehen werden: DFB-Präsident Reinhard Grindel ist ein angeschlagener Sieger, sichtbar lädiert, mit schwindendem Rückhalt im eigenen Verband und bei vielen deutschen Fußballfans als rückgratloser Karrierist verschrien. Sein katastrophales Krisenmanagement in der Özil-Affäre, seine viel zu früh gefällte Entscheidung, in jedem Fall am bei der WM 2018 historisch erfolglosen Bundestrainer Joachim Löw festzuhalten und die zunehmende Verärgerung im wichtigen Amateurlager haben ihn arg in Bedrängnis gebracht. Ohne die EM 2024 wäre seine Amtszeit sehr schnell vorbei gewesen, zu viel Porzellan hat er mit seiner undiplomatischen und insbesondere gegenüber Fanvertretern ignoranten Art zerschlagen. Der DFB-Erfolg in Nyon dürfte die Wogen vorübergehend glätten, er wird über eines aber nicht hinwegtäuschen: Deutschland hatte leichtes Spiel.