Freiheit für Hongkong!
Die vergangenen Wochen haben bewiesen: In Hongkong folgte auf verbale Eskalationen stets eine weitere Eskalation auf der Straße.
Und in den Hauptnachrichten vom Sonntag (04.08.) hat das chinesische Staatsfernsehen CCTV noch einmal mächtig nachgelegt. Gerichtet an die Demonstranten - bezeichnet als "gewalttätige Verbrecher" - hieß es: "Die Rache kommt zum rechten Zeitpunkt."
Auch Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam zitierte am Sonntag eine chinesische Redewendung: "Yu Shi Ju Fen". Egal, ob Jade oder Bruchstein - keiner entgeht der Apokalypse. Sie sieht die Zukunft von Hongkong also schwarz, wenn weiterhin "Unruhe und Unordnung" herrschen.
Generalstreik
Insofern war der heutige Generalstreik eine fast logische Konsequenz: Das öffentliche Leben in einem wichtigen Wirtschafts- und Finanzzentrum Asiens liegt lahm. Nachdem schon an den vergangenen Wochenenden U-Bahn-Verkehr und die Hauptverkehrsstraßen regelmäßig blockiert wurden, mussten nun erstmals auch mehr als 200 Flüge von und nach Hongkong gestrichen werden. Die Verkehrsbetriebe bemühen sich, den Linienverkehr umzuleiten. Viele Geschäfte sind geschlossen.
Die Polizei ihrerseits setzt Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten ein. Die Volksbefreiungsarmee demonstriert ihre Stärke mit einem Imagefilm, der eine undatierte Militärübung bei der Auflösung einer Massendemonstration zeigt. Doch all das schreckt die Menschen nicht ab.
Der wirtschaftliche Schaden ist inzwischen immens. Nach offiziellen Statistiken sank das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal saisonbereinigt um 0,3 Prozent. Allein der Export ging im Juni um zehn Prozent zurück.
Irreparabler Imageschaden
Noch größer ist der irreparable Imageschaden. Hongkong war gerade aufgrund der rechtlichen Sicherheit und der toleranten Gesellschaft Topfavorit der internationalen Investoren. Jetzt versinkt die Stadt im Chaos.
Dabei haben die Demonstranten nur gefordert, was entsprechend dem "Basic Law" eigentlich selbstverständlich sein sollte: Sie wollen, dass der Entwurf des umstrittenen Auslieferungsgesetzes, das der Auslöser für die Proteste war, nicht erneut in die Gesetzgebung eingebracht wird. Sie wollen, dass den Festgenommenen nicht wegen Landfriedensbruch der Prozess gemacht wird. Sie wollen, dass eine unabhängige Kommission die Polizeigewalt untersucht. Sie fordern den Rücktritt der Verwaltungschefin Lam. Und sie drängen auf demokratische Wahlen.
Handlungsunfähige Lam
Die bei den Bürgern in Missgunst geratene Lam, die allein von einer chinafreundlichen Findungskommission gewählt wurde, reagiert aus der Sicht der Demonstranten nicht ausreichend. Es ist ihr nicht einmal ansatzweise gelungen, die Lage zu entschärfen.
Zwar hat sie erklärt, dass das umstrittene Auslieferungsgesetz tot sei, ist aber ansonsten zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Weder sagt sie bisher etwas zu einer unabhängigen Aufklärung der Polizeigewalt, noch zu ihren eigenen Plänen - von echten demokratischen Wahlen ganz zu schweigen.
Dabei wäre genau das der Schlüssel für die Wiederherstellung der Ordnung: Die aufgeklärten Menschen wollen Wohlstand, Freiheit, Selbstbestimmung und direkte Wahlen. Weder Peking noch Carrie Lam scheinen zu begreifen, dass hier der Unterschied zwischen den zwei System - Festlandchina und Hongkong - liegt. In Hongkong gibt es eine motivierte und engagierte Zivilgesellschaft, die keine Furcht vor der Obrigkeit hat und sich nicht mit Konsumversprechen abspeisen lässt.