Kommentar: Gasstreit untergräbt russische Außenpolitik
31. Dezember 2005Fraglos hat der staatliche russische Energiekonzern Gasprom das Recht, von der souveränen Ukraine einen höheren, international üblichen Marktpreis für Gas zu fordern. Ähnliches gilt aber auch für die Ukraine. Sie will sich die für Gasprom so wichtige Durchleitung des russischen Gases nach Europa besser bezahlen lassen. Im Grunde sind beide Seiten eng aufeinander angewiesen, was eine Einigung begünstigen sollte.
Dass es außerdem für den Gaspreis einen großen Spielraum gibt, hat Gasprom in den Vereinbarungen mit anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in letzter Zeit selbst gezeigt. Denn mit Georgien, Armenien und Litauen wurden unterschiedliche, aber weit geringere Gaspreise als die von der Ukraine geforderten 220-230 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter vereinbart - vom Sonderfall Belarus ganz zu schweigen. Wenn also rein geschäftliche Interessen bei der Festsetzung des Gaspreises eine Rolle spielen würden, wäre sicherlich ein für beide Seiten akzeptables Ergebnis bereits erzielt worden.
Energie als politische Waffe
Es gibt aber offensichtlich noch einen anderen Faktor im Gasstreit mit der Ukraine: Russland instrumentalisiert seine Energiereserven, um politischen Einfluss auf den Nachbarstaat auszuüben. Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, dass die durch die orangene Revolution beim Kreml in Ungnade gefallene Ukraine durch ein rigoroses und unnachgiebiges Auftreten in den Verhandlungen nun bestraft werden soll.
Die russischen Drohungen und Ultimaten treffen umso mehr, als in der Ukraine in drei Monaten wichtige Parlamentswahlen anstehen. Das "orange" Lager um die früheren Galionsfiguren Juschtschenko und Timoschenko ist bereits tief zerstritten. Der Partei des pro-russischen Kandidaten Janukowitsch werden nach mehreren Umfragen die besten Chancen eingeräumt. Frierende oder zumindest von der "orange Politik“ desillusionierte Ukrainer könnten die "orange Revolution“ zu einer kurzen Episode machen.
Schwerer Schaden für globale Außenpolitik Russlands
Die unverhohlene Nutzung der russischen Energiereserven für außenpolitische Ziele macht jedoch mittelfristig Putins außenpolitische Strategie zunichte, den internationalen Einfluss Russlands gerade durch die Energiereserven zu vergrößern. Denn Russland wirkt im Gasstreit nicht als verantwortungsbewusster Energielieferant und zuverlässiger Partner, sondern als unberechenbarer Akteur auf den kein Verlass ist.
Denn selbst wenn europäische Konsumenten von Ausfällen verschont blieben, eins ist nun für jeden sichtbar: Abhängigkeit von russischen Energielieferungen bedeutet zugleich direkte politische Abhängigkeit vom Kreml. Alle die, die in Europa vor Russlands imperialen Reflexen gewarnt haben, sehen sich nun bestätigt. Europas Regierungen und Energiekonzerne werden daher ohne viel Aufhebens intensiver nach alternativen Lieferanten und Versorgungswegen suchen sowie Energiesparmöglichkeiten und alternative Energiequellen fördern. Zu Recht, denn sich auf russisches Gas und faires russisches Geschäftsgebaren allein zu verlassen, wird als zu risikoreich gelten. Energie eignet sich eben nicht als politische Waffe, was die arabischen Staaten mittelfristig auch erfahren mussten.
Eine besondere Ironie der Geschichte: Russland wird zum Jahreswechsel erstmals den G8-Vorsitz übernehmen. Die globale Energieversorgung und Russlands Rolle dabei waren zu den wichtigsten Themen der russischen G8-Präsidentschaft erklärt worden. Doch die Strategie des Kremls, sich mittels der Energiereserven als zuverlässiger Partner in die Weltgemeinschaft zu integrieren, hat mit der Eskalation des russisch-ukrainischen Gasstreites einen schweren Schaden erlitten.